§ 15 Sozialversicherungsrecht

Eine typische Frage der Mitarbeiter ist, wie die deutsche Sozialversicherung aufrechtzuerhalten und gleichzeitig die ausländische Sozialversicherung zu vermeiden oder günstig zu integrieren ist. Es gilt der Grundsatz der „Ausstrahlung“ gem. § 4 SGB IV. Danach ist der Arbeitnehmer bei befristeter Entsendung im Rahmen eines in Deutschland begründeten Beschäftigungsverhältnisses aufgrund dieser Beschäftigung nach dem deutschen Sozialversicherungsrecht versichert. Das Gegenstück zur „Ausstrahlung“ ist die „Einstrahlung“ gemäß § 5 SGB IV, die entsprechende Vorschrift für nach Deutschland entsandte ausländische Arbeitnehmer.

Bei der Prüfung nach § 4 SGB IV „Ausstrahlung“ ist wie folgt vorzugehen:[1]

Zunächst ist die Frage zu stellen, ob der Arbeitnehmer im Rahmen des inländischen Beschäftigungsverhältnisses ins Ausland entsandt ist. Wird diese Frage verneint, besteht keine Ausstrahlung. Wird diese Frage bejaht, so wird als nächstes gefragt, ob die Entsendung zeitlich befristet ist. Ist sie nicht zeitlich befristet, erfolgt keine Ausstrahlung. Ist die Entsendung zeitlich befristet, so ist zu fragen, ob der Arbeitnehmer in den inländischen Betrieb integriert bleibt. Diese Frage verneint, so besteht keine Ausstrahlung, die deutschen Rechtsvorschriften gelten nicht weiter. Wird diese Frage bejaht, so liegt Ausstrahlung vor: die deutschen Rechtsvorschriften gelten weiter. Gegebenenfalls sind zusätzliche Abkommensregelungen bzw. die Rechtsvorschriften des Tätigkeitsstaates zu beachten.

Die Voraussetzungen einer Entsendung im sozialversicherungsrechtlichen Sinne sind:

–          ein zeitlich begrenzter Ortswechsel vom Inland ins Ausland (Ausstrahlung) bzw. vom Ausland ins Inland (Einstrahlung); die Begrenzung kann vertraglich oder beschäftigungsimmanent sein,

–          der Fortbestand der arbeits- und sozialrechtlichen Integration im Herkunftsland;

und

–          die Absicht, nach Rückkehr aus dem Ausland die Beschäftigung in Deutschland fortzusetzen.

Bei der Beurteilung sozialversicherungsrechtlicher Sachverhalte sind auch die Richtlinien zur versicherungsrechtlichen Beurteilung von Arbeitnehmern bei Ausstrahlung und Einstrahlung i. d. F. vom 02.11.2010[2] zu beachten; diese bilden die Grundlage der Entscheidungsfindung für die mit der versicherungsrechtlichen Beurteilung von Arbeitnehmern befassten Stellen.

Zwischenstaatliche Abkommen zur sozialen Sicherheit sind gegenüber der Ausstrahlung des § 4 SGB IV immer vorrangig, vgl. § 6 SGB IV. Im Rahmen der EU bildet die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit eine wesentliche Rechtsgrundlage für den grenzüberschreitenden Arbeitnehmereinsatz.[3] Sie umfasst alle Zweige der sozialen Sicherheit, die Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft, bei Invalidität, bei Alter, an Hinterbliebene, bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, bei Arbeitslosigkeit sowie Familienleistungen und Sterbegeld betreffen; sie gilt jedoch nicht für Sozialhilfe und Leistungssysteme für Kriegsopfer. Die Verordnung Nr. 883/2004 ist seit dem 01.05.2010 in Kraft und gilt für Staatsangehörige der EU-Mitgliedstaaten. Sie gilt seit dem 01.04.2012 auch für die Schweiz und seit dem 01.06.2012 ebenfalls für die EWR-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen (beschränkt allerdings auf Staatsangehörige der EU-/EWR-Mitgliedstaaten). Sie gilt darüber hinaus auch für Drittstaatenangehörige im Rahmen der Verordnung (EU) 1231/2010.[4]

Nach der Verordnung Nr. 883/2004 gilt der Grundsatz: Es findet das Recht desjenigen Mitgliedstaates Anwendung, in dem die Beschäftigung ausgeübt wird (Territorialitätsprinzip). Von diesem Grundsatz hält die Verordnung Ausnahmen bereit, sie regelt u. a., unter welchen Voraussetzungen die sozialversicherungsrechtlichen Regelungen des Entsendestaates weiterhin anwendbar sind. So sieht Art. 12 VO (EG) Nr. 883/2004 vor, dass eine Person, die in einem Mitgliedstaat für Rechnung eines Arbeitgebers, der gewöhnlich dort tätig ist, eine Beschäftigung ausübt und die von diesem Arbeitgeber in einen anderen Mitgliedstaat entsandt wird, um dort eine Arbeit für dessen Rechnung auszuführen, weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaates unterliegt, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit 24 Monate nicht überschreitet und diese Person nicht eine andere Person ablöst.

Daneben ist die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 vom 14.06.1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern,[5] von Bedeutung; ihre Anwendung ist zu prüfen, wenn die Verordnung Nr. 883/2004 nicht einschlägig ist. Die Verordnung Nr. 1408/71 gilt für die Bereiche Krankenversicherung, Arbeitslosengeld und Rente und regelt, welches Sozialversicherungsrecht bei grenzüberschreitenden Arbeitseinsätzen zur Anwendung kommt. Auch hier gilt der Grundsatz, dass das Sozialversicherungsrecht des Beschäftigungsorts anzuwenden ist (mit zahlreichen Ausnahmen und Sonderregelungen).

Die Prüfung zur Ermittlung des anwendbaren Rechts erfolgt nach folgendem Schema:[6]

Ausgangspunkt ist die Frage, ob die VO (EG) 883/04 anwendbar ist. Diese gilt ab dem 01.05.2010. Sie ist nicht anwendbar auf Drittstaatenangehörige und Schweiz, Island, Liechtenstein und Norwegen. Ist die VO (EG) 883/04 anwendbar, so gelten nur die Rechtsvorschriften eines EU Staates. In der Regel gilt das Recht des Staates, in dem der gewöhnlich Beschäftigungsort liegt (Ausnahme: Arbeitnehmer, die in mehreren Staaten beschäftigt sind).

Ist die VO (EG) 883/04 nicht anwendbar, so ist zu fragen, ob die VO (EWG) 1408 anwendbar ist. Diese geht nach dem 01.05.2010 weiter für Drittstaatenangehörige und Schweiz, Island, Liechtenstein und Norwegen. Die VO (EWG) 1408 ist nicht anwendbar bei Entsendung außerhalb von EU, EWR-Raum, Schweiz. Bei Anwendbarkeit der VO (EWG) 1408 ist das bilaterale Abkommen anzuwenden. Abkommen Staaten sind: Australien (RV, AL), Bosnien-Herzegowina (KV, RV, AL, Frau), Chile (RV, AL), China (RV, AL), Indien (RV, AL), Israel (KV, RV, UV), Japan (RV, AL), Kanada (RV, AL), Korea (RV, AL), Kroatien (KV, PV, RV, AL, UV), Marokko (KV, RV, AL, UV), Mazedonien (KV, PV, RV, AL, UV), Montenegro (KV, RV, AL, UV), Quebec (RV, AL), Tunesien (KV, RV, UV), USA (RV).[7]

Ist die VO (EWG) 1408 nicht anwendbar so ist zu fragen, ob ein bilaterales Abkommen mit Drittstaaten vorliegt hier ist dann eine Einzelprüfung der Sozialversicherungszweige notwendig ist diese Frage zu verneinen, so wird Paragraph vier SGB I V (deutsches Recht) angewendet. Dies gelte für das vertragslose Ausland und nicht von einem Abkommen erfasste Sozialversicherungszweige.

[1] Quelle: Haufe Arbeitsrecht, Version 10.2.0.0, Index 1572178.

[2] Herausgegeben von den Spitzenorganisationen der Sozialversicherung: GKV-Spitzenverband, Deutsche Rentenversicherung Bund, Bundesagentur für Arbeit und Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung.

[3] ABl 2004 L 166/1, ber. ABl 2004 L 2004/1 und ABl 2007, L 204/30, zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVO (EU) 1372/2013 vom 19.12.2013, ABl 2013, L 346/27.

[4] Verordnung (EU) Nr. 1231/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.11.2010, ABl 2010 L 344/1.

[5] ABl 1971, L 149/2, zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVO (EG) 592/2008 vom 17.06.2008, ABl 2008, L 177/1.

[6] Quelle: Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (www.arbeitgeber.de/www/arbeitgeber.nsf/res/Verordnung-Was-fuer-Arbeitgeber-wichtig-ist.pdf/$file/Verordnung-Was-fu er-Arbeitgeber-wichtig-ist.pdf).

[7] KV = Krankenversicherung; PV = Pflegeversicherung; RV = Rentenversicherung; AL = Arbeitslosenversicherung; UV-Unfallversicherung.