4.6 Das Verhältnis von Steuerstrafverfahren und Besteuerungsverfahren

Bezüglich des Verhältnisses von Steuerstrafverfahren und Besteuerungsverfahren besteht insoweit Konfliktpotenzial, als dass beide Verfahren parallel laufen und eine Personenidentität der ermittelnden Amtsträger (vgl. § 208 Abs. 1 AO) gegeben sein kann. Im Besteuerungsverfahren treffen den Steuerpflichtigen bestimmte Mitwirkungspflichten, wie z. B. die Offenbarungspflicht betreffend steuerlich erheblicher Tatsachen nach § 90 Abs. 1 AO. Demgegenüber hat der Beschuldigte im Steuerstrafverfahren ein Aussageverweigerungsrecht (§ 136 StPO). Dieses mit Verfassungsrang ausgestattete Recht wird als Nemo-tenetur-Prinzip bezeichnet.

Dieser Problematik begegnet das Gesetz mit der Regelung des § 393 AO, nach der sich die Rechte und Pflichten der Steuerpflichtigen und der Finanzbehörden im Besteuerungsverfahren und im Strafverfahren nach den für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften richten. Der Steuerpflichtige bleibt demnach trotz des Ermittlungsverfahrens auskunftspflichtig, jedoch können Zwangsmittel gegen ihn nicht eingesetzt werden, wenn er dadurch gezwungen wäre, sich selbst zu belasten (§ 393 Abs. 1 Satz 2 AO). Mit dieser Regelung soll der in einem Steuerstrafverfahren involvierte Steuerpflichtige hinsichtlich seiner steuerlichen Pflichten gegenüber einem nicht beschuldigten, mitwirkungsverpflichteten Steuerpflichtigen nicht besser gestellt werden. Materiell läuft § 393 AO damit auf ein Auskunftsverweigerungsrecht hinsichtlich möglicher Steuerstraftaten hinaus; allerdings wird aufgrund der formal weiter bestehenden steuerlichen Mitwirkungspflichten die Schätzung durch die Finanzbehörde nach § 162 AO ermöglicht.

Soweit der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht in einem Strafverfahren aus den Steuerakten Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die der Steuerpflichtige der Finanzbehörde vor Einleitung des Strafverfahrens oder in Unkenntnis der Einleitung des Strafverfahrens in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten offenbart hat, dürfen diese Kenntnisse gegen ihn nicht für die Verfolgung einer Tat verwendet werden, die keine Steuerstraftat ist, es sei denn, es handelt sich um eine Tat im Sinne von § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO (§ 393 Abs. 2 AO). Hintergrund dieser Regelung ist, dass der Steuerpflichtige auf der einen Seite durch das Steuergeheimnis (§ 30 AO) geschützt werden soll, auf der anderen Seite aber verpflichtet ist, strafbare Handlungen steuerlich relevanter Art gegenüber dem Finanzamt zu offenbaren.

Die Finanzbehörde ist grundsätzlich nicht durch das Steuergeheimnis daran gehindert, z.B. in Steuerakten enthaltene Kenntnisse für Zwecke der Durchführung eines Steuerstrafverfahrens an die Staatsanwaltschaft oder ein Gericht weiterzugeben (vgl. § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO, § 386 Abs. 4 AO). Staatsanwaltschaft und Gericht ihrerseits erlangen also regelmäßig aus den ihnen vorliegenden Steuerakten Kenntnis über nichtsteuerliche Straftaten.

Diese Kenntnisse unterliegen zwar dem Steuergeheimnis, ihre Offenbarung und damit ihre Auswertung ist aber zulässig, wenn sie der Durchführung eines Strafverfahrens wegen einer Tat dienen, die keine Steuerstraftat ist (§ 30 Abs. 4 Nr. 4 AO) und soweit gegen den Steuerpflichtigen ein Steuerstrafverfahren läuft und er diese Tatsachen in Kenntnis des Verfahrens mitgeteilt hat. Zur Lösung dieses Konflikts sieht § 393 Abs. 2 AO ein grundsätzliches Verwendungsverbot für die sich aus den Steuerakten ergebenden Tatsachen oder Beweismittel vor, die auf das Vorliegen einer nichtsteuerlichen Straftat schließen lassen.

Beispiel: Ein Steuerpflichtiger beschäftigt einen Arbeitnehmer schwarz. Daraus resultiert neben einer Lohnsteuerhinterziehung (§ 370 AO) ein Vorenthalten von Arbeitsentgelt nach § 266a StGB. Im Rahmen einer Lohnsteueraußenprüfung legt er dem Prüfer die Schwarzbeschäftigung offen, bevor der Prüfer eine Unregelmäßigkeit feststellen konnte (eine wirksame Selbstanzeige ist nicht gegeben, weil der Prüfer bereits erschienen war).

Folge ist ein Steuerstrafverfahren wegen Lohnsteuerhinterziehung sowie eine Straftat nach § 266a StGB. Letztere unterliegt dem Steuergeheimnis, denn die Tatsachen sind der Finanzbehörde vor Einleitung des Strafverfahrens noch im Besteuerungsverfahren durch den Steuerpflichtigen in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten offenbart worden. Das Gericht erfährt zwar im Steuerstrafverfahren wegen der Lohnsteuerhinterziehung die Umstände der Straftat nach § 266a StGB, diese Kenntnisse unterliegen jedoch dem Verwertungsverbot gemäß § 393 Abs. 2 Satz 1 AO.