6.4.2.4 Beschlagnahme von beschlagnahmefreien Gegenständen

Darüber hinaus ist auf die im § 97 StPO aufgeführten Beweismittel aufmerksam zu machen, für die jedenfalls Beschlagnahmefreiheit besteht.

Zum einem sind die Aufzeichnungen des Beschuldigten selbst, die dieser zu seiner Verteidigung angefertigt hat – sogenannte Verteidigungsunterlagen –, grundsätzlich beschlagnahmefrei.

Weiter sind die im § 97 StPO aufgeführten Gegenstände bestimmter Berufsgeheimnisträger beschlagnahmefrei. Nicht ausdrücklich genannt sind hier allerdings die Handakten des Rechtsanwalts oder des Steuerberaters, die darin befindlichen Unterlagen sind deshalb nur im Rahmen des § 97 Abs. 1 StPO beschlagnahmefrei. Eine Verlagerung von Schriftstücken aus dem Gewahrsam des Verdächtigen in den Gewahrsam des Beraters bietet dem Verdächtigen im Übrigen auch deshalb keinen optimalen Schutz, weil die Beschlagnahme dieser Gegenstände wiederum zulässig ist, wenn der Zeugnisverweigerungsberechtigte (der Steuerberater oder Rechtsanwalt) selbst der Tat oder der Teilnahme an einer solchen sowie wegen Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtigt wird. Es handelt sich hier um den Teilnahmeverdacht des § 97 Abs. 2 Satz 2 StPO.

Die Steuerfahndung behauptet diesen Teilnahmeverdacht schon einmal, wenn sie gerade beim Steuerberater die Akten des Beschuldigten beschlagnahmen möchte, indem sie sich auf den Standpunkt stellt, dass sich aus dem Umstand, dass ein Berater eine separate „Handakte“ führe, schon ergebe, dass er darin geheimhaltungsbedürftige Unterlagen aufbewahre, die seine Teilnahme an einer anderen Straftat bestätigen könnten.

Aber auch ohne diesen Kunstgriff sind nicht alle beim Berater befindlichen Gegenstände beschlagnahmefrei: Zwar geben die Vorschriften des § 97 Abs. 1 bis 3 StPO den Anschein eines sehr umfänglichen Schutzes, anknüpfend an das Zeugnisverweigerungsrecht sind aber nur diejenigen Unterlagen beschlagnahmefrei, die das besondere Beratungsverhältnis betreffen und in dem Vertrauensverhältnis zum Mandanten entstanden und dazu bestimmt sind, in diesem Verhältnis belassen zu werden.

Dieser Aussage steht wiederum entgegen, dass nach Ziffer 58 Abs. 1 der Anweisungen für das Steuer- und Bußgeldverfahren (AStBV) schriftliche Unterlagen, die dem Berater zur Aufbewahrung ausgehändigt wurden, beispielsweise Mandantenbuchführungen, nicht dem Beschlagnahmeverbot unterliegen sollen. Die Gerichte erklären Jahresabschlüsse und die weiteren Arbeitsergebnisse des Steuerberaters wie Buchführung, Hauptabschluss-übersicht mit Umbuchungslisten als beschlagnahmefähig. Gerichte legen weiterhin dar, das Wort „Handakte“ sei objektiv nicht klar definiert und daher komme es bei der Frage der Beschlagnahmefreiheit auf den Inhalt der in der „Handakte“ befindlichen Urkunden im Einzelnen an. Danach gehören u. a. nicht zu den schützenswerten Unterlagen: Steuerbescheide, Bilanzen, Summen- und Saldenlisten, Protokolle von Gesellschafterversammlungen, Ausgangsrechnungen und Verträge mit anderen Firmen.

Eine Vielzahl von Gerichtsurteilen versucht, dieses staatliche Vorgehen zu schützen und zu begründen, indem auf subjektive Zielrichtungen beim Mandanten und Berater abgestellt wird (die Übergabe an den Verteidiger sei nicht die Übergabe an den Steuerberater), dieses ist Unsinn, denn Steuerberater übernehmen auch Verteidigung oder verteidigende Rechtsanwälte übernehmen auch die Anfertigung von Buchführung und Bilanz. Weiter wird argumentiert, die Übergabe sei an den Berater nicht zum Zweck der Verteidigung, sondern zur Aufbewahrung erfolgt, dieses ist ebenfalls Unsinn, denn wie soll dieses Kriterium bei der Durchsuchung und Beschlagnahme geprüft werden?

Im Rechtsmittelverfahren werden Mandant und Berater darlegen, dass die Aufbewahrung nicht Gegenstand des Anwaltsauftrages gewesen sei. Die Begründungen gehen weiter und jede Gerichtsentscheidung zeigt die Grenze zwischen der erlaubten Beschlagnahme und dem geschützten Bereich an einer anderen Stelle auf.

Die Literatur wendet sich vehement gegen diese Aufweichungen. Die Einzeldarstellungen gehen tief und sind nicht abschließend.
Für den betroffenen Berater bleibt die Erkenntnis zurück, dass er, selbst strafrechtlich bedroht durch § 203 StGB, jedenfalls die Unterlagen des Mandanten zu verwahren hat und sich daher bei jeder Durchsuchung und Beschlagnahme mit den gegebenen Rechtsmitteln zu wehren hat, aber dass in der Wirklichkeit die Gerichte die Beschlagnahmen in weiten Teilen ohnehin akzeptieren. Klärt er seinen Mandanten darüber auf, entsteht in der Rechtswirklichkeit ein Vertrauensverlust in die Beraterschaft, den diese nicht zu vertreten hat. Der Anwalt wird, dies ist die weitere Erkenntnis, in diesen Fällen eben doch nicht wie ein Organ der Rechtspflege behandelt, sondern wie ein potenzieller Feind der Rechtspflege. Damit ist zumindest all den Meinungen Recht zu geben, die nach einer deutlichen gesetzlichen Regelung rufen.