Das Problem der Zurechnung und damit der Verdopplung des USt-Anspruchs

Bekannt ist die Zurechnung allenfalls in den Fällen, in denen die Rechtsgeschäfte zwischen tatsächlich handelnden Personen konkret abgeschlossen worden und jedoch scheinbar bei anderen Unternehmen angesiedelt sind (es handelt sich um die Strohmann-Rechtsgeschäfte). Der umgekehrte Fall, dass die tatsächlich handelnden Personen, nämlich die, die den Vertrag vereinbaren und daraufhin die die durchzuführende Lieferung/Leistung und Gegenleistung austauschen, sozusagen von ihrer umsatzsteuerlichen Verpflichtung entbunden werden und diese umsatzsteuerliche Verpflichtung einem Nicht-Handelnden zugerechnet werden sollen, findet sich bisher nur in den zu diskutierenden Urteilen zu Prostitutionsdienstleistungen.

 

Da der Lohnanspruch der Prostituierten mit dieser nach § 2 Prostitutionsgesetz untrennbar verbunden ist (es handelt sich um ein zwingendes gesetzliches Verbot, ein Schutzgesetz zu Gunsten der Prostituierten), würde die vorgeschlagene „Zurechnung“ dazu führen, dass nicht nur die Prostituierte die Umsatzsteuer schuldet, sondern daneben auch die von dem Finazamt / Finanzgericht auserkorene Person, der diese Umsatzsteuerschuld „zugerechnet“ wird. Eine Verdoppelung der Umsatzsteuer auf eine nur einmal erbrachte Leistung ist schon nach der Richtlinie nicht vorstellbar. Auch das deutsche Umsatzsteuergesetz kennt nicht die Situation, dass die Umsatzsteuer auf ein- und dieselbe Dienstleistung zweimal erhoben wird. Eine Zurechnung mit einer gedanklichen „Wegrechnung“ ist ein dem Umsatzsteuergesetz ebenfalls völlig fremder Vorgang. Für diese Modellvorstellung gibt es keine gesetzliche Grundlage.

 

Die Skurrilität dieser Idee wird auch deutlich, wenn man sich dieses Denkmodell in der Praxis vorstellt. Die Finanzverwaltung könnte mehrere Prostituierte verfolgen und diesen vorwerfen, nicht oder nicht genügend Umsatzsteuer aus der Arbeit im Bordell abgeführt zu haben.

 

Die eine verteidigt sich, indem sie die Finanzverwaltung überzeugt, sie habe die auf ihre Lieferungen/Leistungen zu erbringende Umsatzsteuer dem Finanzamt vollständig und richtig erklärt und bezahlt. In diesem Fall stünde die Finanzverwaltung vor dem Problem, dass sie dieser Prostituierten die Umsatzsteuer zurückerstatten müsste, denn die Finanzverwaltung war ja der Ansicht, es habe eine Zurechnung der Umsatzsteuer zu dem Marktplatzbetreiber gegeben.

 

Die andere Prostituierte behauptet nun, sie sei zwar selbstständig gewesen, aber aufgrund der Zurechnung der Umsatzsteuerschuld zu dem Betreiber des Marktplatzes könne von ihr keine Umsatzsteuer erhoben werden. Die Finanzverwaltung stünde in diesem Fall vor dem Problem, dass es gar keine Norm gäbe, die ihr (gesetzmäßiges Handeln vorausgesetzt) die Chance eröffnen würde, die Umsatzsteuerschuld bei dieser Dame nicht beizutreiben.

 

Im Falle, dass die „Zurechnung“ als Ersatz für die Umsatzsteuer gesehen wird, die sonst bei den Damen kassiert werden würde, bleibt es zumindest bei der Position, dass die Lieferung/Leistung noch einmal (also doppelt) der Umsatzsteuer unterworfen wird. In beiden Fällen gibt es natürlich auch keine Kontrollmöglichkeit bei der Dame oder dem Marktplatzbetreiber zu prüfen, ob eine doppelte Erhebung der Umsatzsteuer bei einem konkreten Geschäft vorgelegen habe.

Schon aus diesem kleinen Beispiel ergibt sich deutlich, dass mit den Worten der Zurechnung oder der Zuordnung weder das Umsatzsteuergesetz noch die Umsatzsteuerrichtlinie verändert werden dürfen. Soweit hieran Zweifel bestehen sollte, muss auf einen Antrag zu Prüfung beim EuGH Bezug genommen werden.

 

Würde man nun die beiden vorgenannten Fälle in der Art und Weise lösen wollen, dass das Wort „Zurechnung“ gar nicht das Element des Wegnehmens der Umsatzsteuer bei den Prostituierten, sondern ein bloßes zusätzliches Schaffen von weitere ergänzende Mehrwertsteuer bei dem Marktplatzbetreiber erzeugt, so würde auf dieselbe Lieferung/Leistung zweimal Umsatzsteuer erhoben.

 

Eine Umsatzsteuerrichtlinie oder ein nationales Umsatzsteuergesetz welches die Rechtsfolge aufweist, dass für dieselbe (mit sich selbst identisch; nicht vergleichbar; einmalig) Dienstleistung ein zweimaliger Anspruch auf Erhebung von Umsatzsteuer von Seiten eines Nationalstaates bestehen gibt es nicht.

 

 

Soweit der Bundesfinanzhof sich dem Problem der Doppelbesteuerung widmet (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 7. Februar 2007, V B 48/16) ist dessen Antwort (Rn. 10 der Entscheidungsgründe):

„Abgesehen davon, dass eine Doppelbesteuerung nach den Feststellungen des Bundesrechnungshofes (Bericht vom 24. Januar 2014 VIII-2010-500, S. 16 f.) in aller Regel wegen des fehlenden Erklärungsverhaltens der Prostituierten und ihres häufigen Wohnortwechsels rein faktisch nicht erfolgt… .“

 

Dieses Argument mag in der sachlichen Wirklichkeit möglicherweise richtig sein. (Es beschreibt aber allenfalls die mangelnde Kompetenz der Finanzverwaltung für die Aufbringung der Steuern die geeigneten Massnahmen durchzuführen.)

Ob die Situation allerdings dadurch betriebswirtschaftlich (volkswirtschaftlich) repariert wird, dass eine andere Personengruppe damit belastet wird kann vielleicht noch (nur noch) rechnerisch nachvollzogen werden. Soweit die andere Personengruppe befragt wird, ob es gerechter sei, die Marktplatzbetreiber mit dieser Umsatzsteuer zu belegen oder die Politiker, oder diejenigen die nicht für die Durchsetzung des Rechtsstaates sorgen, ist eine völlig andere Frage die nicht diskutiert werden soll.

 

(Der Unterzeichner hegt allerdings den Verdacht, dass mit der Vokabel der „Zurechnung“ so eine Art Garantenstellung bei den Marktplatzbetreibern für die Umsatzsteuer der Damen eingeführt werden soll. Dogmatisch sauber wäre jedenfalls in diesem Denkmodell, dass die Damen die Umsatzsteuer schulden.- Ertragsteuerlich wird dieses als Düsseldorfer-Verfahren praktiziert. Dafür gibt es zwar auch keine gesetzliche Grundlage – der Marktplatzbetreiber als Beliehener des Finanzamtes? – aber die Praktizierung des Düsseldorfer Verfahrens zeigt das die Finanzämter an anderer Stelle dogmatisch sauber denken.)

 

Hier ist jedenfalls festzustellen, dass der Bundesfinanzhof sehr wohl die Situation erkannt hat, daß durch eine derartige Behandlung einer Doppelbesteuerung vorliegen kann. Die Antwort, ob eine Doppelbesteuerung vorliegen darf, ist jedoch dogmatisch und nicht im Sinne von einer wirtschaftlichen Verlagerung zu lösen. In Übereinstimmung mit den Wertungen des Bundesfinanzhofs in dieser Angelegenheit ist es sicherlich richtig, die umsatzsteuerlichen Unternehmer, nämlich die Damen, dazu zu animieren ihren umsatzsteuerlichen Erklärungspflichten nachzukommen. Es gibt kein Sonderrecht einer bestimmte Berufsgruppe sich mit dem Argument des häufigen Wohnsitzwechsels der Steuerpflicht zu entziehen.

 

Aber durch diese Entscheidung des Bundesfinanzhofs ergibt sich eben nur die Erkenntnis, dass nämlich eine doppelte Besteuerung derselben Dienstleistung auftritt.

 

Es gibt kein Gesetz, und auch in der Richtlinie gibt es eine derartige Möglichkeit nicht, dass ein und dieselbe Dienstleistung, zweimal der Umsatzsteuer unterworfen wird.

 

Eine derartige Entscheidung wäre nicht richtlinienkonform (deshalb der Antrag zur Vorlage beim EuGH).

Eine derartige Entscheidung wäre nicht in Übereinstimmung mit der gesetzlichen Lage zu bringen.

Eine derartige Entscheidung wäre ein Verstoß gegen verfassungsrechtlich verbürgt Mindeststandards (keine Strafe ohne Gesetz) (keine Analogie im Strafrecht).

 

Der Bundesfinanzhof hatte in der Rn. 10 seines Urteils, nur die theoretische Möglichkeit eröffnet das einem Unternehmer, im Regelfall die Abzüge aus erteilten Vorsteuerrechnungen zugutekommen. Der Verweis auf ein Urteil aus dem Jahre 1996 ist jedoch für die gegenwärtige Rechtslage irrrelevant da das Prostitutionsgesetz später geschaffen wurde. Danach kann die Dame nichts weiterberechnen, denn sie kann mangels Übertragbarkeit nicht leisten.