§ 8 AO definiert den Wohnsitz. Die bloße Absicht, einen Wohnsitz zu begründen oder aufzugeben bzw. die melderechtliche An- und Abmeldung entfalten alleine keine steuerliche Wirkung. Wohnung sind objektiv zum Wohnen geeignete Wohnräume. Eine bescheidene Bleibe genügt, so z. B. Baracken, Wochenendhäuser, Jagdhäuser, Gartenhäuser in einer Laubenkolonie, dauerhaft gemieteter Wohnwagen auf einem Campingplatz.
Nicht erforderlich ist eine abgeschlossene Wohnung mit Küche und separater Waschgelegenheit. Beispielsweise reicht das – gegebenenfalls halbe – Zimmer in einem Alten- oder Pflegeheim. Innehaben ist das Recht, tatsächlich über die Bleibe zu verfügen und sie nicht nur vorübergehend nutzen zu können. Dies wäre zum Beispiel bei einem lediglich kurzfristigen Besuch in einem Hotel nicht der Fall. Ausreichend für die Begründung eines Wohnsitzes ist es, wenn man über Jahre hinweg regelmäßig zu bestimmten Zeiten eine Wohnung über einige Wochen benutzt. Gelegentliches Übernachten auf einem inländischen Betriebsgelände, z. B. im Büro o. Ä. („Schlafstelle“), führen nicht zu einem Wohnsitz. Ein Ehegatte/Lebenspartner, der nicht getrennt lebt, hat seinen Wohnsitz grundsätzlich dort, wo seine Familie lebt. Diese Vermutung gilt unabhängig davon, welche räumliche Entfernung zwischen den Ehepartnern/Lebenspartnern besteht.[1] Durch Heirat erwirbt der Mann nicht zugleich Wohnung und Wohnsitz der Ehefrau, solange beide nicht zusammenziehen.[2] Es müssen äußerlich erkennbare Beziehungen des Mannes zur Wohnung der Ehefrau bestehen, zum Beispiel wenn die Ehefrau bei der Wahl der Wohnung die Bedürfnisse des Ehemannes in dessen Einvernehmen berücksichtigt; gemeinsame Vorstellungen über die Einrichtung genügen jedoch nicht. Wer einen Wohnsitz im Ausland begründet, hat auch einen Wohnsitz im Inland, sofern er seine inländische Wohnung weiterhin unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, sie beibehalten und nutzen zu wollen. Zur Begründung eines steuerlichen Wohnsitzes im Inland nach § 8 AO ist nicht Voraussetzung, dass sich dort auch der Mittelpunkt der Lebensinteressen befindet, oder dass der Steuerpflichtige von dort aus seiner täglichen Arbeit nachgeht.[3]
An- und Abmeldung kann ein Indikator für einen Wohnsitz sein,[4] ist alleine jedoch nicht ausreichend. Ein Steuerpflichtiger kann mehrere Wohnsitze haben, diese können im Inland und/oder Ausland gelegen sein.
Der aktuelle Anwendungserlass zur Abgabenordnung in der Fassung vom 07.08.2017[5] enthält u.a. umfangreiche Ausführungen zu den Aspekten Familienwohnsitz (Ziffer 5.) und zum Wohnsitz bei Aufenthalt in einem anderen Staat, insbesondere ins Ausland versetzte Arbeitnehmer sowie sich im Ausland aufhaltende Kinder betreffend (Ziffer 6.). Der gewöhnliche Aufenthalt ist in § 9 AO definiert. Eine Person hält sich an einem Ort gewöhnlich auf, wenn die Umstände erkennen lassen, dass sie an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.
Ein Aufenthalt von weniger als sechs Monaten kann einen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 9 AO begründen, wenn ein längerer Aufenthalt beabsichtigt war („leere Flasche voll“). Dies kann große praktische Probleme verursachen, denn die äußeren Umstände müssen erkennen lassen, dass die betreffende Person sich nicht nur vorübergehend im Inland aufhält. Sogenannte Grenzpendler haben keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.
Bei zeitlich zusammenhängendem Aufenthalt von mehr als 6 Monaten wird der gewöhnliche Aufenthalt unwiderleglich vermutet, sofern nicht Satz 3 greift. Die 6-Monats-Frist braucht nicht in einem Kalenderjahr erfüllt zu werden. Es muss sich um einen zeitlich zusammenhängenden Aufenthalt handeln, mehrere kurzfristige Aufenthalte dürfen bei der Berechnung der Frist nicht zusammengerechnet werden. Der tatsächliche Aufenthalt hat wegen seiner einfachen Nachweisbarkeit große praktische Bedeutung. Auf den Wunsch oder den Willen kommt es nicht an. So führt z. B. ein Aufenthalt von mehr als 6 Monaten in einem Krankenhaus (beachte jedoch § 9 Satz 3 AO) oder Gefängnis zu einem gewöhnlichen Aufenthalt.
Findet ein Aufenthalt vom mehr als 6 Monaten im Inland, jedoch an ständig unterschiedlichen Orten statt (z. B. infolge einer Rundreise zu verschiedenen potentiellen Kunden in Deutschland), so kann die unbeschränkte Steuerpflicht lediglich infolge der 6-Monats-Frist begründet werden.
Ein Aufenthalt, der nicht länger als ein Jahr dauert und ausschließlich zu Besuchs-, Erholungs-, Kur- oder ähnlichen privaten Zwecken genommen wird, begründet i. d. R. keinen gewöhnlichen Aufenthalt, § 9 Satz 3 AO. Die Ausdehnung der 6-Monats-Frist in § 9 Satz 3 AO schließt nicht aus, dass zugleich ein gewöhnlicher Aufenthalt nach § 9 Satz 1 AO begründet wird. Infolge der 6-Monats-Frist ist nur ein gewöhnlicher Aufenthalt möglich.
Ein vergleichbares Begriffspaar zu „Wohnsitz – gewöhnlicher Aufenthalt“ für natürliche Personen besteht für Körperschaftsteuersubjekte mit dem Begriffspaar „Geschäftsleitung – Sitz“.
Bei der unbeschränkten Steuerpflicht gilt das Welteinkommensprinzip. Gemäß § 1 Abs. 1-3 EStG sind steuerpflichtig natürliche Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Gemäß § 1 KStG sind steuerpflichtig Körperschaften mit Geschäftsleitung oder Sitz im Inland. Von der beschränkten Steuerpflicht sind nur inländische Katalogeinkünfte des § 49 EStG betroffen. Gemäß §§ 1 Abs. 4, 49 ff. EStG sind beschränkt steuerpflichtig natürliche Personen, die weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben. Gemäß § 2 KStG in Verbindung mit § 49 EStG sind beschränkt steuerpflichtig Körperschaften, die weder Geschäftsleitung noch Sitz im Inland haben.
[1] Vgl. Ziff. 5.2 AEAO idF vom 07.08.2017, BStBl I 2017 S. 1257.
[2] FG Hamburg, EFG 1994, 730.
[3] Vgl. Ziff. 1.3 AEAO idF vom 07.08.2017, BStBl I 2017 S. 1257.
[4] RStBl 1933 S. 1075; RStBl 1938 S. 1122; BStBl II 1970 S. 153.
[5] BStBl I 2017 S. 1257.