II. § 50d Abs. 8 EStG

§ 50d Abs. 8 EStG ist eine unilaterale Rückfallklausel (Subject to tax-Klausel), nach der die DBA-Freistellung bei Einkünften eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger Arbeit nur gewährt wird, soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass der Quellenstaat, dem gemäß DBA das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses verzichtet hat oder dass die im Quellenstaat auf die Einkünfte festgesetzten Steuern entrichtet wurden.

Die Regelung des Absatz 8 kehrt im Hinblick auf das Tätigkeitsortprinzip des Art. 15 OECD-MA, wonach der (Wohn-)Sitzstaat das alleinige, unbeschränkte Besteuerungsrecht hat (ausgenommen bei Geltung der 183-Tage-Regelung), das Regel-Ausnahme-Verhältnis um, indem es für die Gewährung der Freistellung den Nachweis der Steuerfestsetzung und -entrichtung im Ausland durch den Arbeitnehmer verlangt.[1] Ursprünglich wohl gedacht für spezielle Berufsgruppen mit „fließendem“ Tätigkeitsort (z. B. Piloten, LKW-Fahrer) entfaltet Absatz 8 aber Wirkung für alle Arbeitnehmer.

Die Verwaltungsmeinung zu § 50d Abs. 8 EStG findet sich in den BMF-Schreiben „Doppelbesteuerungsabkommen: Steuerliche Behandlung des Arbeitslohns“ vom 03.05.2018[2] und ergänzend BMF-Schreiben vom 14.03.2017 „Ermittlung des steuerfreien und steuerpflichtigen Arbeitslohns nach den DBA sowie nach dem Auslandstätigkeitserlass im Lohnsteuerabzugsverfahren“.[3]  Das Finanzministerium Schleswig-Holstein äußerte sich 2011 zu den zu führenden Nachweisen der Besteuerung bei einer Tätigkeit in China.[4]

  • 50d Abs. 8 EStG wurde bisher als verfassungsgemäß gewertet, die Rechtsprechung konnte keinen Vorrang des DBA feststellen.[5] Eine Änderung dieser Rechtsprechung schien in Sicht: der BFH[6] hatte dem Bundesverfassungsgericht[7] im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens zu § 50d Abs. 8 EStG die Frage vorgelegt, ob der Gesetzgeber durch ein Treaty override gegen Verfassungsrecht verstößt. Das Finanzgericht Hamburg hatte in einer neueren Entscheidung[8] den Vorrang des § 50d Abs. 8 EStG gegenüber den Bestimmungen eines neu abgeschlossenen DBA verneint. Bei den streitigen Einkünften handelte es sich um Vergütungen an einen in Deutschland ansässigen Steuerpflichtigen für eine unselbständige Arbeit, die er in Aserbaidschan ausübte. Gemäß Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-AZE können solche Einkünfte in Aserbaidschan besteuert werden. Gemäß Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-AZE sind Einkünfte in Deutschland freizustellen, die nach DBA in Aserbaidschan besteuert werden können. Nach Ansicht des FG Hamburg steht der Freistellung § 50d Abs. 8 EStG nicht entgegen. Zwischen den beiden normenhierarchisch gleichrangigen Normen § 50d Abs. 8 EStG und Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-AZE bestehe Gesetzeskonkurrenz, die zu Gunsten der DBA-Norm aufzulösen sei. § 50d Abs. 8 EStG war bereits anzuwenden, als das DBA-AZE am 28.12.2005 in Kraft trat,[9] so dass nach der lex-posterior-Regel das DBA die Norm des § 50d Abs. 8 EStG verdränge. Zwar enthalte § 50d Abs. 8 EStG Satz 1 EStG die Formulierung „ungeachtet des Abkommens“, die einen Vorrang der Vorschrift im Verhältnis zum Abkommen begründen kann, allerdings sei dem Wortlaut des § 50d Abs. 8 EStG Satz 1 EStG nicht eindeutig und zwingend zu entnehmen, dass dieser Vorrang auch DBA erfassen soll, die nach Erlass des § 50d Abs. 8 EStG Satz 1 EStG in Kraft getreten sind. Zudem enthalte das DBA-AZE keine spezielle Regelung zum Vorbehalt der Freistellung, so wie verschiedentliche andere nachfolgende DBA, die die Anwendung der Freistellungsmethode ausdrücklich von der tatsächlichen Besteuerung im Ausübungsstaat abhängig machen.[10] Das Revisionsverfahren war beim BFH[11] u. a. mit der Frage anhängig, ob § 50d Abs. 8 EStG wegen des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes und der lex-posterior-Regel durch ein später erlassenes DBA verdrängt wird. Aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 15.12.2015,[12] wonach Treaty Overriding zulässig sei, hat der BFH diese Frage verneint.[13] Er hat zudem entschieden, dass § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG (2002 n. F.) auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. 1 GG verfassungsgemäß sei.[14]

[1] Vgl. BFH vom 25.05.2016, I B 139/11, veröffentlicht auf der Homepage des BFH, zum DBA-China 1985. Siehe auch FG Köln vom 16.06.2016, 13 K 3649/13, EFG 2016 S. 1711, zum DBA-Iran; ebenso FG Baden-Württemberg vom 23.06.2016, 3 K 3089/13, EFG 2017 S. 464, zum DBA-Schweiz, n. rkr.: BFH I R 67/16.

[2] BMF vom 03.05.2018, IV B 2 – S 1300/08/10027, , BStBl I 2018 S. 643.

[3] BMF vom 14.03.2017, IV C 5 – S 2369/10/10002, BStBl I 2017, S. 473.

[4] FinMin Schleswig-Holstein vom 16.06.2011, VI 305 – S 1300 – 541.

[5] Vgl. FG Bremen vom 10.02.2011, 1 K 28/10 (5), EFG 2011, 1431; FG Köln vom 21.10.2011, 4 K 2532/08, BB 2011 S. 3092.

[6] Vorlagebeschluss des BFH vom 10.01.2012, I R 66/09, BFHE 236 S. 304.

[7] Az. des BVerfG: 2 BvL 1/12.

[8] FG Hamburg vom 21.08.2013, 1 K 87/12, BB 2013, 2837, n. rkr., vgl. BVerfG vom 15.12.2015, 2 BWL 1/12, NJW  2016, 1295, sowie BFH vom 25.05.2016, I R 64/13, veröffentlicht auf der Homepage des BFH.

[9] BGBl II 2006 S. 120.

[10] Das FG Hamburg nennt ausdrücklich als Beispiel Art. 22 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Bulgarien, BGBl II 2010 S. 1286; Art. 22 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Ungarn, BGBl II 2011 S. 919; Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Großbritannien, BGBl II 2010 S. 1333.

[11] Az.: I R 64/13. Das Revisionsverfahren wurde durch Beschluss vom 31.03.2014 bis zur Entscheidung des BVerfG in dem Verfahren 2 BvL 1/12 ausgesetzt.

[12] BVerfG vom 15.12.2015, 2 BvL 1/12, NJW  2016, 1295.

[13] BFH vom 25.05.2016, I R 64/13, veröffentlicht auf der Homepage des BFH.

[14] BFH vom 29.06.2016, I R 66/09, BFH/NV 2016 S. 1688.