Als Ausnahme von Art. 15 Abs. 1 OECD-MA sieht Art. 15 Abs. 2 OECD-MA vor, dass dem Ansässigkeitsstaat des Arbeitnehmers das ausschließliche Besteuerungsrecht für eine nicht in diesem Staat ausgeübte nicht-selbständige Arbeit zusteht, wenn insgesamt drei Voraussetzungen kumulativ vorliegen:[1]
– wenn sich der Arbeitnehmer insgesamt nicht länger als 183 Tage innerhalb eines im jeweiligen Abkommen näher beschriebenen Zeitraums im Tätigkeitsstaat aufgehalten oder die Tätigkeit dort ausgeübt hat, und
– der Arbeitgeber, der die Vergütungen wirtschaftlich trägt oder hätte tragen müssen, nicht im Tätigkeitsstaat ansässig ist, und
– der Arbeitslohn nicht von einer Betriebsstätte oder einer festen Einrichtung, die der Arbeitgeber im Tätigkeitsstaat hat, wirtschaftlich getragen wurde oder zu tragen gewesen wäre.
Hinzuweisen ist darauf, dass die 183 Tage sich auf ein Steuerjahr, ein Kalenderjahr oder auch auf einen anderen Zwölf-Monats-Zeitraum beziehen können. Besonders die letzte Version ist rechenintensiv, denn es wird jeder beliebige Zwölf-Monats-Zeitraum in Betracht gezogen (rollierende Betrachtung).[2] Hinsichtlich des Merkmals des Aufenthalts („aufhält“) kommt es allein auf die körperliche Anwesenheit im Tätigkeitsstaat an.[3] Hier werden Wochenenden, Urlaubs- und Reisetage hinzugezählt. Auch der Anreise- und Abreisetag sollen hinzugerechnet werden.
Bei der zweiten Voraussetzung, Zahlung von einem oder für einen im Tätigkeitsstaat ansässigen Arbeitgeber, kann unterschieden werden zwischen dem zivilrechtlichen Arbeitgeber, dem im Rahmen einer Arbeitnehmerentsendung verbundenen Unternehmen und dem fremden dritten Arbeitgeber. Arbeitgeber kann nicht nur der zivilrechtliche Arbeitgeber, sondern auch eine andere Person sein, die die Vergütung für die ihr geleistete nichtselbständige Tätigkeit wirtschaftlich (wirtschaftlicher Arbeitgeberbegriff) trägt.[4] Soweit der Arbeitnehmer seine Leistungen zur Erfüllung einer Verpflichtung des entsendenden Arbeitgebers erbringt, bleibt dieser der Arbeitgeber im Sinne der DBA-Regelung.[5] Dagegen wird das aufnehmende Unternehmen Arbeitgeber im Sinne des DBA, wenn der Arbeitnehmer in dieses Unternehmen eingebunden ist und dieses Unternehmen seinen Lohn wirtschaftlich trägt.[6] Vereinfachend wird davon ausgegangen, dass bei einer Entsendung von nicht mehr als drei Monaten das aufnehmende Unternehmen nicht Arbeitgeber geworden ist.
Auch beide Unternehmen können Arbeitgeber im Sinne des DBA sein.[7] Möglich ist weiterhin eine Innengesellschaft, in der sich beide zu einer Poolgesellschaft verbinden; hier bleibt es bei dem zivilrechtlichen Arbeitgeber. In den Fällen der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung ist wirtschaftlicher Arbeitgeber im Sinne des Abkommensrechts grundsätzlich der Entleiher, nur in Einzelfällen der Verleiher.[8]
Hinsichtlich der dritten Voraussetzung, der Nicht-Zahlung des Arbeitslohns zu Lasten einer Betriebsstätte oder einer festen Einrichtung des Arbeitgebers im Tätigkeitsstaat, kommt es auf die konkrete Definition der Betriebsstätte bzw. der festen Einrichtung im betreffenden Abkommen an.[9] Nach Ansicht der Finanzverwaltung ist für die Zuordnung des Arbeitslohnes zu der Betriebsstätte nicht entscheidend, wer die Vergütungen auszahlt oder in seiner Teilbuchführung abrechnet, ob die Vergütungen zunächst von der Betriebsstätte ausgezahlt und später vom Stammhaus erstattet werden, oder eine zunächst vom Stammhaus ausgezahlte Vergütung später in der Form einer Kostenumlage auf die ausländische Betriebsstätte abgewälzt wird. Entscheidend sei allein, ob und ggf. in welchem Umfang die ausgeübte Tätigkeit des Arbeitnehmers nach dem jeweiligen DBA der Betriebsstätte zuzuordnen ist und die Vergütung deshalb wirtschaftlich zu Lasten der Betriebsstätte geht.[10]
[1] Nachfolgender Wortlaut nach dem BMF-Schreiben vom 03.05.2018, IV B 2 – S 1300/08/10027, BStBl I 2018 S. 643, Tz. 4.1, Rn. 80.
[2] Vgl. Berechnungsbeispiel bei Kamphaus/Büscher in Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA, Erg.-liefg. Mai 2012, Art. 15 OECD-MA Rz. 144.
[3] Prokisch in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. München 2015, Art. 15 Rn. 37.
[4] BFH vom 21.08.1985, I R 63/80, BStBl II 1986 S. 4; BFH vom 23.02.2005, I R 46/03, IStR 2005 S. 458.
[5] BMF vom 09.11.2001, IV B 4 – S 1341 – 20/01, BStBl I 2001 S. 796, Verwaltungsgrundsätze – Arbeitnehmerentsendung.
[6] BMF vom 09.11.2001, IV B 4 – S 1341 – 20/01, BStBl I 2001 S. 796, Verwaltungsgrundsätze – Arbeitnehmerentsendung.
[7] BFH vom 23.02.2005, I R 46/03, IStR 2005 S. 458.
[8] BFH vom 04.09.2002, I R 21/01, BStBl II 2003 S. 306.
[9] Vgl. BMF vom 09.11.2001, IV B 4 – S 1341 – 20/01, BStBl I 2001 S. 796, Verwaltungsgrundsätze – Arbeitnehmerentsendung.
[10] So Tz. 4.4 Rn. 185 in BMF vom 03.05.2018, IV B 2 – S 1300/08/10027, BStBl I 2018 S. 643; vgl. auch das Beispiel unter Tz. 9, Rn. 22 in BMF vom 14.03.2017, IV C 5 – S 2369/10/10002, BStBl I 2017 S. 473.