7.1.1.1 Die Mitwirkungspflichten der Beteiligten (§ 90 AO)

Schematisch im 3. Teil der AO „Allgemeine Verfahrensgrundsätze“ eingeordnet, normiert § 90 AO die „Mitwirkungspflichten der Beteiligten“. Im Sinne des § 78 AO sind hiermit Antragsteller und Antragsgegner (Nr. 1) gemeint, sowie diejenigen, an die die Finanzbehörde den Verwaltungsakt richten will oder gerichtet hat (Nr. 2), und diejenigen, mit denen die Finanzbehörde einen öffentlich-rechtlichen Vertrag schließen will oder geschlossen hat (Nr. 3). § 78 Nr. 2 AO i.V.m. § 90 AO adressiert folglich u.a. alle Steuerpflichtigen.

Zunächst ist anzumerken, dass § 90 AO lediglich den Mitwirkungsumfang bestimmt, d.h. er allein begründet keinen Verwaltungsakt des Staates gegenüber dem Steuerpflichtigen. Hierfür bedarf es zusätzlich einer Befugnisnorm der §§ 93 ff. AO. Somit bezieht sich die Mitwirkungspflicht des Abs. 1 Satz 1 nur auf die Ermittlung des Sachverhalts und wird in den §§ 93-100 AO konkretisiert. Es handelt sich hierbei um eine allgemein formulierte Vorschrift, die innerhalb der AO und in den Einzelgesetzen geregelten Verfahren zur Anwendung kommt, selber aber kein eigenständiges Verfahren begründet.

Der Steuerpflichtige erfüllt seine Mitwirkungspflichten, indem er den in Abs. 1 Satz 2 normierten Forderungen nachkommt, die erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offen zu legen und die ihm bekannten Beweismittel zu bezeichnen. Wichtig ist, dass hiermit nicht die Pflicht einhergeht, die gemachten Aussagen rechtlich zu begründen.

Der Umfang der Mitwirkungspflicht orientiert sich gemäß Abs. 1 Satz 3 am Einzelfall – allgemein gesagt ist die Verantwortung des Steuerpflichtigen bzgl. der Sachverhaltsaufklärung umso größer, je mehr Tatsachen und Beweismittel seine Sphäre umfasst.

Die in Abs. 1 beschriebenen Pflichten erstrecken sich auch über den Zeitraum eines Steuerstrafverfahrens, was darauf zurückzuführen ist, dass das Besteuerungsverfahren und das Steuerstrafverfahren nebeneinander existieren. Das Bestehen des einen Verfahrens schließt folglich die mit der Existenz des anderen Verfahrens verbundenen Mitwirkungspflichten nicht aus. Allerdings ist anzumerken, dass die Einleitung des Steuerstrafverfahrens ein Erzwingen der Mitwirkung unterbindet, was dem Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ (zu deutsch: „Niemand ist gehalten, sich selbst zu beschuldigen.“) Rechnung trägt.

Die Orientierung der Mitwirkungspflichten an den Umständen des Einzelfalls hat zur Folge, dass die Verpflichtung zur Mitwirkung in manchen Fällen über das Maß hinausgehen kann, was Abs. 1 ausdrücklich suggeriert: Eine erhöhte Mitwirkungspflicht resultiert zunächst aus dem Umstand, dass für die steuerrechtliche Aufklärung des Sachverhalts zwischen betrieblichen und privaten Aufwendungen differenziert werden muss. Grundsätzlich dürfen private Aufwendungen, welche sich nicht auf die Besteuerung auswirken, dem Finanzamt ohne Risiko einer Pflichtverletzung vorenthalten werden, da sie in die Sphäre des Privatlebens gehören und folglich dem Staat in Bezug auf die Besteuerung kein Einsichtsrecht zusteht. Es liegt somit im Eigeninteresse, im Falle der Notwendigkeit einer solchen Differenzierung im maximalen Umfang mitzuwirken, um einen potentiellen Einblick des Finanzamts in das Privatvermögen zu verhindern. Nach der Rechtsprechung bestehen zudem in Einzelfällen erhöhte Mitwirkungspflichten, so z.B. bei Einzahlungen auf ein betriebliches Konto durch einen Dritten oder durch Einlagen eines Steuerpflichtigen hinsichtlich der Herkunft der verbuchten Guthaben oder bei der verdeckten Gewinnausschüttung.