c) Missbrauchsvermeidung

§ 50i Abs. 2 EStG[1] soll Steuergestaltungsstrategien vermeiden, die die durch § 50i EStG vorgesehene Besteuerung von Veräußerungs- oder Entnahmegewinnen in sog. Altfällen durch eine einem Wegzug nachfolgende Umwandlung oder Einbringung ausschließen. Über die bei einem Wegzug in einen anderen Vertragsstaat gesetzlich fingierte „Steuerhängigkeit“ der betreffenden Wirtschaftsgüter hinaus wird kein weitergehender Besteuerungsaufschub gewährt.[2] Die Besteuerung nach § 50i EStG sollte nicht dadurch umgangen werden, dass z. B. der Veräußerungspreis oder Entnahmewert auf Grund einer Umwandlung bzw. Einbringung oder einer Übertragung bzw. Überführung nur mit dem Buchwert angesetzt wird.

§ 50i Abs. 2 Satz 1 EStG suspendiert für Wirtschaftsgüter und Anteile im Sinne des § 50i Abs. 1 EStG die Bewertungswahlrechte des Umwandlungssteuergesetzes bei der Einbringung von Betrieben, Teilbetrieben oder Mitunternehmeranteilen nach § 20 Abs. 1 UmwStG. In solchen Fällen sind die betroffenen Wirtschaftsgüter und Anteile, soweit sie einem im anderen Vertragsstaat ansässigen Steuerpflichtigen im Sinne des § 50i Abs. 1 Satz 1 EStG zuzurechnen sind, zwingend mit dem gemeinen Wert anzusetzen.[3] Erfasst sind davon alle Umwandlungsfälle gewerblich geprägter oder gewerblich infizierter Personengesellschaft (§ 15 Abs. 3 EStG) mit ausländischen Mitunternehmern, wenn die Kapitalgesellschaftsanteile oder Wirtschaftsgüter im Sinne von § 50i Abs. 1 Satz EStG vor dem 29.06.2013 übertragen oder überführt wurden. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Kapitalgesellschaftsanteile/Wirtschaftsgüter oder Anteile an der Personengesellschaft übertragen werden.[4]

Der frühere Wortlaut der Norm[5] wurde in der Literatur hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereiches als zu weit gefasst angesehen und massiv kritisiert.[6] So sollten im Wege der teleologischen Reduktion nicht für alle Wirtschaftsgüter der gemeine Wert anzusetzen sein, sondern nur für Wirtschaftsgüter und Anteile im Sinne des § 50i Abs. 1 Satz 1 EStG. Auch die Aufdeckung der stillen Reserven bei allen Gesellschaftern wurden im Hinblick auf den Normzweck als nicht sachgerecht angesehen, vielmehr sollte eine teleologische Reduktion auf Steuerpflichtige erfolgen, die in einem anderen Vertragsstaat ansässig sind, denn nur in diesen Fällen sei eine zwangsweise Besteuerung der stillen Reserven in Deutschland gerechtfertigt.[7]

–          Seitwärtsverschmelzungen (Sidestream-Mergers),

–          Abwärtsverschmelzungen (Downstream-Mergers),

–          Aufwärtsverschmelzungen (Upstream-Mergers),

–          Aufspaltungen sowie Abspaltungen

sollten weiterhin ohne Anwendung des § 50i EStG möglich sein, da sie vom Wortlaut des § 50i Abs. 2 Satz 1 EStG nicht erfasst seien.[8] Auch bei Übertragungen und Überführungen der betreffenden Wirtschaftsgüter aus dem Gesamthandsvermögen der Personengesellschaft oder dem Sonderbetriebsvermögen des Mitunternehmers der Personengesellschaft (§ 50i Abs. 2 Satz 2 EStG) und bei Strukturwandel (§ 50i Abs. 2 Satz 3 EStG) erfolgte der Ansatz mit dem gemeinen Wert. Auch bei diesen Vorschriften wurde kritisiert, dass der Tatbestand zu weit reiche. Die Geltung von Absatz 2 Satz 2 solle sich nur auf geplante Umgehungen und nicht z. B. auf den Übergang von Todes wegen erstrecken, und auch nur auf im anderen Vertragsstaat ansässige Steuerpflichtige. Absatz 2 Satz 3 solle auf die Aufdeckung der stillen Reserven auf § 50i-verhaftete Vermögensgegenstände beschränkt sein, die einem im anderen Vertragsstaat ansässigen Steuerpflichtigen zuzurechnen sind.[9]

Die Neufassung von Absatz 2[10] beseitigt die Vorgängerfassung des Absatzes 2 rückwirkend, als hätte es die ursprüngliche Fassung von Abs. 2[11] nach dem nie gegeben.[12] Mit dieser Neufassung beabsichtigt der Gesetzgeber, den Wortlaut der Vorschrift in Einklang mit ihrer eigentlichen Zielsetzung zu bringen, nämlich Steuergestaltungsstrategien über § 20 UmwStG zur Umgehung des Tatbestandes des § 50i Abs. 1 EStG zu verhindern. Der neu gefasste Absatz 2 ordnet daher an, dass bei der Einbringung von Betrieben, Teilbetrieben oder Mitunternehmeranteilen nach § 20 Abs. 1 UmwStG, die Wirtschaftsgüter und Anteile enthalten, die vor dem 29.06.2013 in das Betriebsvermögen einer Personengesellschaft im Sinne des § 15 Abs. 3 EStG übertragen oder überführt worden sind, diese zwingend mit dem gemeinen Wert angesetzt werden müssen. Der Ansatz des gemeinen Werts bezieht sich zudem, anders als nach dem bisherigen Gesetzeswortlaut, nicht auf die „Sachgesamtheit“, sondern nur auf die betroffenen Wirtschaftsgüter und Anteile im Sinne des Absatzes 1. Soweit sonst durch Umwandlungen und Einbringungen im Sinne des UmwStG oder durch Überführungen oder Übertragungen deutsche Besteuerungsrechte eingeschränkt oder ausgeschlossen werden, gelten die allgemeinen Entstrickungsregelungen.[13] § 52Abs. 48 Satz 4 EStG n.F.[14] bestimmt, dass Absatz 2  in seiner neuen Fassung erstmals für Einbringungen anzuwenden ist, bei denen der Einbringungsvertrag nach dem 31.12.2013 geschlossen worden ist. Die Neufassung des Absatzes 2 gilt danach nur noch für Einbringungen im Sinne des § 20 UmwStG, bei denen das Besteuerungsrecht an den erhaltenen Anteilen ausgeschlossen oder beschränkt ist und bei denen der Einbringungsvertrag nach dem 31. Dezember 2013 geschlossen worden ist. § 50i Abs. 2 EStG in der vorherigen Fassung[15] wird durch den neugefassten Absatz 2 rückwirkend und umfassend ersetzt. Die Rückwirkung auf den Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung der Vorschrift ist nach Ansicht des Gesetzgebers verfassungsrechtlich zulässig, weil es sich um eine begünstigende rückwirkende Änderung handelt.[16]

[1] Eingefügt durch Gesetz zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 25.07.2014, BGBl 2014 I S. 1266.

[2] Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses vom 02.07.2014, BT-Drs. 18/1995 S. 106.

[3] Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses vom 02.07.2014, BT-Drs. 18/1995 S. 107.

[4] Bodden, DB 2014 S. 2371, 2374 li. Sp.

[5] In der Fassung des Gesetzes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 25.07.2014, BGBl 2014 I S. 1266.

[6] Vgl. etwa Liekenbrock, DB 2016, 436 m.w.N.; Heinlein/Euchner, BB 2016, 795, 796

[7] Vgl. Bodden, DB 2014 S. 2371, 2374 li. Sp. mit Verweis auf die Gesetzesbegründung.

[8] Vgl. Bodden, DB 2014 S. 2371, 2374 li. Sp. m. w. N.

[9] So Bodden, DB 2014 S. 2371, 2375 re. Sp. m. w. N.

[10] Durch das Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen vom 20.12.2016, BGBl. I 2016, 3000.

[11] In der Fassung des KroatienAnpG v. 25.07.2014, BGBl. I 2014 S. 1266.

[12] Ditz/ Quilitzsch, Die Änderungen im internationalen Steuerrecht durch das Anti-BEPS-Umsetzungsgesetz, DStR 2017, 281, 291.

[13] So die Gesetzesbegründung in Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses vom 30.11.2016, BT-Drs. 18/10506, S. 74.

[14] In der ab dem 24.12.2016 geltenden Fassung.

[15] In der Fassung des Gesetzes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 25.07.2014 (KroatienAnpG), BGBl. I S. 1266.

[16] Gesetzesbegründung in Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses vom 30.11.2016, BT-Drs. 18/10506, S. 75.