Cum-Ex; Cum-Cum, Dividenden-Arbitrage-Geschäfte; Cum-Fake; ADR – Ein Zwischenbericht einer Anwaltskanzlei im Herbst 2021

Dr. Sebastian Korts, MBA, MITax, RA, FAStR, FAHuGR

I. Einführung in den allgemeinen Problemkreis

Art. 103 Abs.2 des Grundgesetzes postuliert, dass ohne eine gesetzliche Grundlage eine Strafbarkeit nicht in Betracht kommt (Keine Strafe ohne Gesetz). Unter der lateinischen Begrifflichkeit Nulla poena sine lege mag der historische Hintergrund vom Leser weiter erforscht werden. Dieses Gesetzlichkeitsprinzip bzw. der Gesetzlichkeitsgrundsatz ergibt die Garantiefunktionen des Strafgesetzes im Rechtsstaat. Verbrechen (crimen) ist somit allein das, was der Gesetzgeber zur Straftat erklärt hat. Nur ein formelles Gesetz kann daher die Strafbarkeit einer Handlung begründen.

In unserem Strafgesetzbuch findet sich eine Vielzahl von Sachverhaltsbeschreibungen, eben Strafbarkeitsvorschriften, die beschreiben, welche Handlung aus dem tatsächlichen Leben zu welcher Strafbarkeit führt. Neben dem Strafgesetzbuch gibt es einige Vorschriften, die ihrerseits auch Straftatsbeschreibungen enthalten.
Für das Steuerstrafrecht findet sich die wesentliche Vorschrift in § 370 Abgabenordnung. Hier findet sich nun die erste Abweichung zu der Idee einer notwendigen Konkretisierung der strafbaren Handlung. Tathandlung des Steuerstrafrechts ist es, die Finanzverwaltung über „steuerlich erhebliche Tatsachen“ nicht im rechten Maße aufzuklären. Hinsichtlich der konkreten Tathandlung handelt sich also um einen Verweis in alle Normen des Steuerrechtes. Ob allein dieser Blanketttatbestand schon der grundgesetzlichen Bestimmungen zuwiderläuft, möge der Leser selbst entscheiden. Für die Zwecke dieses Berichtes unterstellen wir, dass diese Fassung als Verweisungsnorm in das Steuerrecht grundgesetzlich ausreichend sei.

Problematisch für die modernen Steuerstrafverfahren ist jedoch, dass selbst die Erfüllung der steuerlichen Normen dem Wortlaut nach noch immer keinen Schutz davor bietet, dass eine konkrete Handlung nicht doch als Steuerstraftat verfolgt und als Steuerstraftat geahndet wird. Dass im Vorfeld die steuerliche Anerkennung schon nicht akzeptiert wird, ist in diesen Fällen klar, es geht um die Frage, ob die Nichtanerkennung der steuerlichen Position ein Straftatbestand ist.

Berichterstattungen mit Vorverurteilungen im Rahmen von laufenden Verfahren bieten oft nicht den Raum einer intellektuellen Auseinandersetzung mit dem Gesetz. Zu schön und zu schnell sind Schlagzeilen produziert, die den Lesern das Gefühl geben, sie, als ehrlicher Steuerzahler, würden um ihr Geld gebracht und deshalb sei die Verurteilung nur noch ein Formsache. Möglicherweise muss man auch leicht überzogene Presseberichte während eines laufenden Ermittlungsverfahrens akzeptieren. Problematisch wird es, wenn Pressesprecher der ein oder anderen Justizverwaltung oder gar aus dem Ministerium selbst Vorverurteilungen Vorschub leisten. Für die Zwecke dieses Berichtes soll diesem Aspekt der öffentlichen Vorverurteilung keine vertiefende Aufmerksamkeit geschenkt werden.

In diesem Zwischenbericht geht es um die Überlegung, inwieweit man den Gedanken eines Urteils innerlich folgen will, welches vielleicht noch nicht rechtskräftig ist oder zwar rechtskräftig ist, aber noch nicht alle Zweifel beim Leser beseitigt hat. Man wird natürlich unterstellen müssen, dass das jeweilige Gericht in eine nicht mehr mit Rechtsmitteln angreifbaren Entscheidung den Fall so genau geprüft hat, dass die Gründe, die für die jeweilige Entscheidung sprechen, trotz der eventuell weiter bestehenden Zweifel des Lesers überwiegen. Es geht um die Frage, welche Verteidigungslinie der Steueranwalt mit seinem Mandanten anwenden will. Dazu gehören folgende Grundüberlegungen.

2. Die Cum-Ex-Problematik im Rahmen einer derartigen Betrachtungsweise

Cum-Ex-Verfahren sind solche modernen Steuerstrafverfahren. Um den Leser mit dem üblichen Sachverhalt der Cum-Ex-Geschäfte vertraut zu machen, erlauben wir uns an dieser Stelle eine abstrakte Schilderung der üblichen Geschehensabläufe in vereinfachter Form:

Cum Ex

Als Verkäufer tritt eine Person auf, die keine Aktien hat. Sie verkauft diese Aktien an einen Käufer, wobei beide Parteien vereinbaren, dass die verkauften Aktien bei der nächsten Gewinnausschüttung der Aktiengesellschaft, also am nächsten Dividendenstichtag, berechtigt sind, an der Gewinnausschüttung teilzunehmen (Aktie mit -Cum-) Dividendenberechnung). Die Übergabe der Aktien wird vereinbart zu einem Tag, der nach der zu beschließenden Gewinnausschüttung liegt.
Der vorbenannten Leerverkäufer und der Käufer wollen das Risiko der Kursschwankungen der Aktie beide nicht tragen. Jeder für sich schließt ein so genanntes Sicherungsgeschäft ab, bei dem er ein Auf und Ab des Kurses der Aktie wirtschaftlich nicht tragen muss (Single Stock Future).
Der Verkäufer wartet den Tag der Gewinnausschüttung ab. Noch bevor er die Aktien an den Käufer übergeben muss, kauft er diese Aktien real am Aktienmarkt. Diese Aktien, die er nun erwirbt, kauft er an, ohne dass diese von ihm erworbenen Aktien die Gewinnausschüttung, die bisher beschlossen, aber noch nicht ausgezahlt wurde, mitbringen. (Aktien ohne das Recht, die beschlossene Gewinnausschüttung mitzubringen – Ex). Der Verkäufer, der ihm die Aktien real übereignet, wird auch als Stückegeber bezeichnet. Der (Leer-)Verkäufer ist nun in der Lage, die versprochenen Aktien tatsächlich dem Käufer zu liefern.
Da der Käufer jedoch auch erwartet hat, dass er die Aktien mit dem zusätzlichen Dividendenausschüttungsbetrag bekommt, wird für den Verlust dieses Gewinnausschüttungsrechts mit einer Kompensationszahlungen in Höhe der Nettodividende befriedigt. Die tatsächliche Gewinnausschüttung erfolgt an den Verkäufer.

Die Übereignung der Aktien vom Stückegeber an den Leerverkäufer und von diesem an den Käufer ist der eigentliche Fall.
In der Lebenswirklichkeit wird der Käufer wiederum die von ihm erworbenen Aktien (ohne die Dividendenberechtigung) wieder an den Leerverkäufer zurückverkaufen und dieser wiederum verkauft diese zurück an den Stückegeber. Dieser doppelte Rückverkauf hat keine wirtschaftliche Bedeutung, außer der Tatsache, dass in diesem Modell die Aktien im nächsten Dividendenjahr wieder zur Verfügung stehen.

Zu diesem Vorgang muss verstanden werden, dass die Aktien des Unternehmens, welches die Gewinnausschüttung beschließt, als börsennotiertes Unternehmen seine Aktien in einer Girosammelverwahrung bei der Clearstream Banking AG (CBF) verwahrt. Die Marktteilnehmer treten über ihre jeweilige Depotbank in Geschäftsverbindung mit der CBF. Bei dieser werden die Nettodividenden der ausschüttenden Aktiengesellschaft an die Personen verteilt, die dort als Eigentümer der Aktie (Aktionär) registriert sind. In dem vorbezeichneten Beispiel bezieht derjenige, der als Aktionär am Dividendenstichtag registriert ist, die Nettodividende – also der Stückegeber. Die ausschüttenden Aktiengesellschaft hat natürlich den Einbehalt der Kapitalertragsteuer vorgenommen. Hinsichtlich dieses Einbehaltes (also der Differenz zwischen der Bruttodividende und der Nettodividende) bekommt der Stückegeber von der Aktiengesellschaft die (erste) Bescheinigung, dass hinsichtlich seiner Nettodividende der ordnungsgemäße Einbehalt der Kapitalertragsteuer vorgenommen wurde.

Technisch wickelt sich das über die CBF ab, die auf ihrer Internetseite den von ihr so bezeichneten „market-claims-process“ beschreibt. Die Bank bezeichnet den ihr bekannten Bestand, also wer ist Eigentümer welcher Aktie, als „Settlementbestand“. Auf diesen Settlementbestand werden am Dividendenstichtag, dem Bestandsstichtag, von der Clearstream Banking AG die fälligen Dividenden/Ausschüttungen verteilt. Von dem Weiterverkauf des Stückegebers erlangt die Clearstream Banking AG erst Kenntnis, wenn dieser zur Belieferung anstehen. In diesem Fall wird vom Leerverkäufer ein Betrag in Höhe der Nettodividende als Kompensationszahlungen von dessen Depotbank eingezogen und dem Käufer der Aktie über dessen Depotbank gutgeschrieben. Die Depotbank des Leerverkäufers nimmt keinerlei Kapitalertragsteuereinbehalt für die Weiterleitung der Kompensationszahlungen von dem Konto des Leerverkäufers auf das Konto des Käufers vor. Die Depotbank des Käufers stellt im Nachgang der Belieferung eine (zweite) Kapitalertragsteuerbescheinigung aus. Dadurch ist die zweite Bescheinigung über den Einbehalt der Kapitalertragsteuer in der Welt. Aus diesem Vorgang ergibt sich sodann, dass zwei Bescheinigungen über den Einbehalt der Kapitalertragsteuer bestehen. Tatsächlich hat nur die Aktiengesellschaft selbst an das Finanzamt die Kapitalertragsteuer einmal gezahlt.

Zwischen dem Leerverkäufer und dem Käufer waren, wie oben gezeigt, Sicherungsgeschäfte zur Absicherung des Kursrisikos zwischen dem schuldrechtlichen Verkauf und der später liegenden Lieferung der Aktien notwendig und vereinbart. Derartige Kurssicherungsgeschäfte sind per se nicht auffällig und gehören zu vielen Marktgeschäften. In den Fällen, die durch die Rechtsprechung ins Visier genommen worden sind, hat sich gezeigt, dass diese Sicherungsgeschäfte eine zweite Funktion übernommen haben. Eigentlich hätten die Parteien, die das gesamte Verhalten im Blick hatten, die Verteilung der Rückerstattung des zweiten Kapitalertragsteuereinbehaltes in einem schuldrechtlichen Geschäft außerhalb dieses Kreislaufes ansiedeln können. Faktisch ist jedoch dieses wechselseitige Sicherungsgeschäft dazu benutzt worden, zwischen den Parteien Gelder zu verteilen.

„Der Begriff Dividendenlevel bezeichnet, in welchem Umfang der Verkäufer einer Aktie cum Dividende für den Verkauf der Dividenden entgolten wird. Dabei wird der Dividendenlevel maßgeblich durch die als Sicherungsgeschäfte bezeichneten, auf Barausgleich gerichteten Derivatgeschäfte beeinflusst. Er berechnet sich wie folgt: Kaufpreis der Aktie, zuzüglich Finanzierungszinsen für die Haltedauer der Aktien, abzüglich Verkaufspreis der Future / Calloptionen, abzüglich Bruttorendite. Ein Dividendenlevel von 73,625 % würde exakt dem Betrag einer Nettodividende entsprechen (für die auch kein Kapitalertragsteuer-Erstattungsanspruch verschafft wurde). Ein Dividendenlevel von 100 % würde demgegenüber den vollen Betrag einer Bruttodividende (einschließlich Kapitalertragsteuer-Erstattungsanspruch) abgelten. Während ein Bestandsverkäufer diesen vollen Betrag als Entgelt für einen Verkauf einer Aktie cum Dividende verlangen würde, da er dem Käufer mit der Nettodividende zugleich einen Kapitalertragsteuer-Erstattungsanspruch verschafft, würde sich für einen Leerverkäufer, der die vertragsgegenständlichen Aktien von einem Dritten “ex” erwirbt (d.h. ohne Dividendenanspruch) und diese seinerseits “cum” verkauft, d.h. den Aktientransfer im Market-Claim-Mechanismus mit einer Kompensationszahlung i.H.v. 73,625 % des Betrags einer Bruttodividende ausstattet (auf die weder er noch irgendjemand sonst Kapitalertragsteuer abgeführt hat), wirtschaftlich lohnen, dafür einen Kaufpreis weit unterhalb von 100 % zu akzeptieren. Dabei macht das Geschäft unter Berücksichtigung der weiteren Kosten (z.B. Brokergebühren, Leihgebühren, Finanzierungskosten) für den Leerverkäufer wirtschaftlich erst dann wirklich Sinn, wenn der Dividendenlevel den Nettobetrag von 73,625 % deutlich übersteigt. Vor diesem Hintergrund ist es das Handlungsziel des Leerverkäufers, an der ungerechtfertigten Steuererstattung – nach Deckung seiner durch die Geschäfte entstandenen Ausgaben – in möglichst großem Umfang zu partizipieren.

Der Käufer bezahlt dagegen die Differenz zwischen 73,625 % und dem vereinbarten Dividendenlevel in der Hoffnung, zusätzlich zu dem Geldbetrag in Höhe einer Nettodividende einen Kapitalertragsteuer-Erstattungsanspruch zu erhalten und mit dessen Hilfe insgesamt eine Bruttodividende i.H.v. 100 % zu vereinnahmen.
Eine genaue Betrachtung der vorliegenden Aktiengeschäfte um den Dividendenstichtag zeigt, dass alle Geschäfte der Antragstellerin einen Dividendenlevel von 87% – 90 % ausweisen (…) Ein solches Dividendenlevel ist in der Praxis wirtschaftlich für die Vertragsparteien der Aktiengeschäfte nur erreichbar, wenn es sich um Cum/ex-Geschäfte handelt, bei denen die nicht erhobene Kapitalertragssteuer auf die Dividendenkompensationszahlung als zwischen den Vertragsparteien der Aktiengeschäfte zu verteilende Ertragsmasse mit eingepreist wird. Für die Antragstellerin ergibt sich danach vorliegend vorbehaltlich etwaiger Finanzierungskosten ein Gewinn im Umfang von durchschnittlich 10-13 % der jeweiligen Bruttodividende. Dagegen liegt das Gewinnpotenzial bei der Ausnutzung eines Arbitragefensters marktüblich nur bei 2-3 % der Bruttodividende. Eine über dieses marktnahe Level hinausgehende Handelsmarge in der vorliegenden Größenordnung weist daher regelmäßig auf Cum/ex-Geschäften hin, bei denen die nicht erhobene Kapitalertragssteuer zwischen den Vertragsparteien aufgeteilt wird. Dies ist in Aktienhändler- und Börsenkreisen bekannt und lässt jedenfalls bei größeren Handelsvolumina – wie im Streitfall – auch auf eine Preisabsprache zwischen den Parteien der Aktiengeschäfte zur Aufteilung des Gewinnpotentials in Höhe der nicht erhobenen Kapitalertragssteuer schließen.“ (Hessisches Finanzgericht vom 6.04.2021; 4V 723 /20 Rz: 286 bis 288) (vgl. zu diesem Problemkreis zuvor LG Bonn, Urteil vom 18.03.2020 – 62 KLs – 213 Js 41/19 – 1/19 ab Rz. 96)

Cum-Cum

Diese Spielart ist deutlich älter. Hier ist Sachverhalt, dass die privaten Anleger die Kapitalertragsteuer tragen müssen, die institutionellen Anleger von dieser aber befreit sind, soweit sie inländische Unternehmen sind. Diese Vorgehensweise ist steuerlich und sachlich richtig, denn damit wird eine doppelte Besteuerung der Gewinne vermieden. Ausländische Investoren sind jedoch von dieser Steuerbefreiung ausgenommen. Die logische Folge ist, dass die Aktien der ausländischen Investoren um den Dividendenstichtag herum an ein inländisches Unternehmen, eben eine Bank, übertragen werden. Die dadurch entstehende Steuerersparnis wird zwischen den ausländischen Investoren und der inländischen Bank aufgeteilt.
Mit diesem Gedanken ist deutlich, dass die gleiche Aktie einen unterschiedlichen Wert an einem Börsenplatz zu einem anderen Börsenplatz aufweist. Der An- und Verkauf von Händlern von einem Börsenplatz zu einem anderen Börsenplatz mit Preisdifferenz ist ein klassisches Aktien-Arbitrage-Geschäft. An einem solchen Vorgang gibt es steuerlich nichts auszusetzen.
Entsteht in der Preisunterschied jedoch lediglich durch die Anrechnung eines Steuervorteils anlässlich der Dividendenausschüttung so wird von einem Dividenden-Arbitrage-Geschäft gesprochen. Diese Vorgehensweise wird seit zig Jahren (man spricht in verschiedenen Quellen vom Anfang der 70er Jahre) in Kenntnis dieses Umstandes durch das Bundesfinanzministerium durchgeführt und damit geduldet. Erst 2016 wurde eine gesetzliche Regelung auf den Weg gebracht, dass der Übertragungsvorgang 45 Tage vor dem Dividendenstichtag erfolgen müsse, damit die Aktionäre sich die abgeführten Steuern wieder erstatten lassen können. Dieser Vorgang zeigt, dass im Bundesfinanzministerium die cum-cum-Spielart bekannt ist. Die gesetzliche Regelung ist natürlich wirkungslos, denn die Akteure am Markt können natürlich auch diesen Zeitraum durch gegenläufige Wetten neutral stellen und dann einen 46-tägigen Zeitraum akzeptieren.

Am 9. Juli 2021 hat das Bundesministerium der Finanzen eine Neufassung des BMF Schreibens vom 17. Juli 2017 Betreff „Steuerliche Behandlung von Cum/Cum-Transaktionen“ veröffentlicht. Darin sind nicht nur alle Spielarten dieses Modells erklärt, sondern in der Rn. 39 wird ausgedrückt, dass jegliche Variante von Cum/Cum-Sachverhalten dazu führt, dass wenn der Steuerpflichtige nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist erkennt, dass er an einem derartigen Sachverhalt beteiligt ist, er unverzüglich seiner Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 AO nachkommen muss. In der Konsequenz bedeutet dieses natürlich, dass die Beteiligung an Cum/Cum-Sachverhalten in der Zukunft steuerrechtlich verfolgt wird; in der weiteren Konsequenz wird dann natürlich ein Strafverfahren gegen die Steuerpflichtigen möglich sein. Dieses kann sich dann auf die aktive Tatvariante beziehen, dass bei der ursprünglichen Steuererklärung das Finanzamt über steuerlich erhebliche Tatsachen nicht informiert wurde oder es wird eine Unterlassungsvarianten verfolgt, indem nämlich nun die Ansicht der Finanzverwaltung in diesem BMF-Schreiben bekannt ist, dass Wirkung von Cum/Cum-Sachverhalte spätestens jetzt aufzuklären wären und der Steuerpflichtige diesem Verhalten nicht nachkommt.
Banken reagieren sofort und klären ihre Anleger über die Rückforderungsrisiken aus dieser Rechtsauffassung auf. Die niederländische AMRO Bank hat in ihrem Geschäftsbericht zum 2. Quartal auf Seite 78 berichtet. (https://assets.ctfassets.net/1u811bvgvthc/Rpkm6oIrs9J5M31vEGWY2/b2a9c9d5111bfc1a1ec5e6c6728468e5/ABN_AMRO_Bank_-_Interim_Report___Quarterly_Report_second_quarter_2021.pdf)
Das soeben veröffentlichte zweite Strafurteil des Landgericht Bonn vom 01.06.2021 – 62 KLs – 213 Js 32/20 – 1/20 passt zu dieser Denkweise. Denn gerade in diesem Strafurteil werden auch die Aspekte der Strafbarkeit aus der Anwendung von Cum/Cum-Strukturen beschrieben.
Es ist zu erwarten, dass eine Unzahl von neuen Verfahren zu nicht verjährten Cum/Cum-Gestaltungen steuerlich aufgearbeitet und natürlich auch strafrechtlich aufgearbeitet werden müssen. Hier liegen die zukünftigen Strafverfahren und auch Haftungsverfahren. Steuerberater und Anwälte müssen ihre Mandanten aufklären, damit die Berater nicht als Gehilfen zu der perpetuierten Steuerhinterziehung in Verantwortung kommen.

Cum-Fake/ADR

Bei diesem Verfahren handelt es sich um die Erkenntnis, dass Dividenden auch über andere Finanzinstrumente gezahlt werden. Der Fokus richtet sich dabei auf die in Amerika gebräuchlichen ADR (American Depository Reciepts). Mit diesen Wertpapieren können Aktien gehandelt werden, die nicht an der Börse notiert sind. Diese Wertpapiere werden von amerikanischen Banken emittiert und beziehen sich auf den Kursverlauf einer oder mehrerer zu Grunde liegenden Aktien. Nach amerikanischen Gesetzen sind die Banken verpflichtet, die Aktien real zu hinterlegen. Von so genannten „pre-release ADRs“ spricht man, wenn die Aktien noch nicht real vorhanden sind, aber bereits gehandelt werden. Damit ist das Spielfeld für die Akteure in gleicher Weise geöffnet wie bei den zuvor beschriebenen Cum-Ex-Fällen. Die Aufklärung ist ungleich schwieriger. Der Bundesrechnungshof hat im Oktober 2020 empfohlen, die Einführung des von der OECD 2006 initiierten, sogenannten TRACE-Verfahrens (Treaty Relief and Compliance Enhancement) zu prüfen. Es sieht eine Ermäßigung der Kapitalertragsteuer bereits bei der Zahlung der Dividende vor. Ein nachgelagertes, missbrauchsanfälliges Erstattungsverfahren, wie derzeit in Deutschland praktiziert, kann damit entfallen. Das TRACE-Verfahren kommt zudem ohne Steuerbescheinigungen aus, die bisher in betrügerischer Absicht verwendet werden konnten. (https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichungen/produkte/beratungsberichte/2020/2020-bericht-cum-fake-gestaltungen-risiken-bei-der-erstattung-von-kapitalertragsteuer-aufgrund-von-doppelbesteuerungsabkomm).

Schon im Referentenentwurf und in der Gesetzesbegründung zu dem Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz – AbzStEntModG) BStBl. 2021 I, S. 1259 f., wird in den Kommentierungen zu § 45b Abs. 3 EStG auf die Strafbarkeitslücken mit diesen ADR-Gestaltungen hingewiesen. „In den USA aufgelegte Hinterlegungsscheine auf deutsche Aktien (ADR) könnten in der Vergangenheit benutzt worden sein, um unberechtigte Ansprüche auf Erstattung von Kapitalertragsteuer geltend zu machen.“

Eine ausführliche Darstellung aller Varianten mit seinen Wertungen ist in dem Sachverständigengutachten für den Untersuchungsausschuss von Herrn Christoph Spengel am 28.07.2016 erstellt worden. In diesem 142 Seiten langen Bericht widmet sich der Verfasser auch der Rolle der Gesetzgebung und Finanzverwaltung. https://www.bundestag.de/resource/blob/438666/15d27facf097da2d56213e8a09e27008/sv2_spengel-data.pdf

3. Die Aufarbeitung

Die Aufarbeitung dieser Fälle ist nicht abgeschlossen. Man geht überschlägig davon aus, dass über die zweimalige Rückerstattung der Gelder bei den Finanzämtern in Deutschland rund 32 Milliarden € erstattet worden sind. Da diese Methode auch in anderen Ländern und insbesondere über andere Länder funktioniert, wird davon gesprochen, dass es rund 150 Milliarden € sind, die durch derartige Rückerstattungen geholt worden sind.
Die Aufarbeitung geschieht im Wesentlichen, soweit es sich um Fälle mit Bezug zu Deutschland handelt, vor den Finanzgerichten und vor den Strafgerichten.
Schadensersatzklagen und Haftungsklagen zwischen den Beteiligten werden vor den Zivilgerichten ausgetragen.
Die politische Aufarbeitung der Rolle der Finanzämter und insbesondere des Bundesfinanzministeriums bedarf einer eigenen Betrachtungsweise.
Rechtspolitische Gedanken möge der Leser dieses Artikels sich anhand der Hinweise am Ende machen.

Die Steuerverfahren

Die Steuerverfahren geben deutliche Aussagen zu der Meinung der Richterschaft, die sich im Laufe der Bearbeitungszeit der Cum/ex von dem einen zu dem anderen Problemkreis weiter entwickelt hat. Die wesentlichen Urteile sind nachfolgend herausgesucht und es wird der Versuch unternommen, die Kernaussagen der Urteile herauszustellen.

Hessisches FG 10.2.2016, 4 K 1684/14
„Im Hinblick auf sog. Cum/ex-Aktiengeschäfte existiert keine Gesetzeslücke, die zur doppelten Anrechnung von Kapitalertragsteuer berechtigen würde. Die Kapitalertragssteuerbescheinigung nach § 45a Abs. 2 o. 3 EStG liefert bei Zahlungen der Nettodividende durch eine inländische Depotbank lediglich einen Anscheinsbeweis für die Erhebung der Kapitalertragsteuer. (…) Dem die Anrechnung der Kapitalertragsteuer begehrenden Aktienkäufer obliegt die Feststellungslast für die Erhebung der Abzugssteuer. Die Kapitalertragssteuerbescheinigung nach § 45a Abs. 2 o. 3 EStG liefert bei Zahlungen der Nettodividende durch eine inländische Depotbank lediglich einen Anscheinsbeweis für die Erhebung der Kapitalertragsteuer. Für Geschäfte, bei denen die Aktien außerbörslich einschließlich eines Dividendenanspruchs erworben werden, deren Belieferung allerdings abweichend von der Vereinbarung erst nach dem Dividendenbeschlusstag erfolgt, wird dieser Anscheinsbeweis für die Erhebung der Kapitalertragsteuer regelmäßig erschüttert und kommt nicht zum Tragen. Dies gilt zumindest dann, wenn keine sog. Berufsträgerbescheinigung für die Aktiengeschäfte erteilt wird. In diesen Fällen obliegt es dem die Anrechnung begehrenden Aktienkäufer, den Vollbeweis für die Erhebung der Kapitalertragsteuer zu führen.“

Leitsätze zum Verfahren Hessisches Finanzgericht vom 10.03.2017, 4 K 977/14:
„1. Der Aktienkäufer hat bei außerbörslichen (OTC) Aktiengeschäften um den Dividendenstichtag die cum Dividende abgeschlossen und ex Dividende beliefert werden (cum/ex Aktiengeschäfte) keinen Anspruch auf Anrechnung der vom Emittenten auf die originäre Dividende erhobene Kapitalertragsteuer.
2. Bei außerbörslichen Aktiengeschäften geht das wirtschaftliche Eigentum an den Aktien erst im Zeitpunkt der Belieferung auf den Aktienkäufer über.
3. Auch bei börslichen Geschäften über den zentralen Kontrahenten (CCP) erfolgt ein Übergang des wirtschaftlichen Eigentums nicht bereits mit Abschluss der schuldrechtlichen Verträge.
4. Die juristische Auslegungsmethodik lässt ausgehend vom Wortlaut des § 39 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 AO und der RegelAusnahmeSystematik der Norm nur eine einmalige Zurechnung eines Wirtschaftsgutes an ein Steuersubjekt zu. Mehrfaches wirtschaftliches Eigentum an Aktien ist denklogisch ausgeschlossen.
5. Soweit der BFH in seinem Urteil vom 15.12.1999, I R 29/97 einen vorzeitigen Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums von Aktien mit Abschluss des schuldrechtlichen Vertrages annimmt, liegen die Voraussetzungen an die der BFH diese Rechtsfolge knüpft aufgrund der Börsenusancen nur bei Verkäufen über die Börse durch einen privaten Bestandsverkäufer vor.
6. Bei der in der Gesetzesbegründung zum Jahressteuergesetz gemachten Aussage zum wirtschaftlichen Eigentum handelt es sich vor dem Regelungshintergrund der Einführung eines neuen Einkünftetatbestands in § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 4 EStG um eine bei Gelegenheit geäußerte Rechtsansicht (“obiter dictum“), die nach den juristischen Auslegungsregeln nicht dem Willen des Gesetzgebers zugerechnet werden kann.

Finanzgericht Düsseldorf, 6 K 1544/11 K,AO vom 12.12.2016, Rz. 76
„Die Klägerin hat auch kein wirtschaftliches Eigentum an den Aktien nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO im Zeitpunkt des Vertragsschlusses oder später erworben. Nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO sind Wirtschaftsgüter unter dem Gesichtspunkt wirtschaftlichen Eigentums demjenigen zuzurechnen, der über sie die tatsächliche Herrschaft in der Weise ausübt, dass er den Eigentümer im Regelfall und nach dem Gesamtbild der Verhältnisse im Einzelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann. Bei Aktien erlangt der Erwerber wirtschaftliches Eigentum im Allgemeinen ab dem Zeitpunkt, von dem ab er nach dem Willen der Vertragspartner über die Wertpapiere verfügen kann. Das ist in der Regel der Fall, sobald Besitz, Gefahr, Nutzungen und Lasten, insbesondere die mit Wertpapieren gemeinhin verbundenen Kursrisiken und -chancen, auf den Erwerber übergegangen sind (BFH, Urteil vom 15. Dezember 1999 – I R 29/97 –, BFHE 190, 446, BStBl II 2000, 527, Rn. 39 mN). Der Erwerb des wirtschaftlichen Eigentums bestimmt sich nach dem Gesamtbild der Verhältnisse im jeweiligen Einzelfall. Der nach Maßgabe des Privatrechts Berechtigte muss derart ausgeschlossen sein, dass er wirtschaftlich nicht mehr verfügungsberechtigt ist (TK/Drüen, AO § 39 RN 24 mN). Das Zurechnungskonzept des wirtschaftlichen Eigentums setzt einen Wechsel in der wirtschaftlichen Verfügungsmacht vom zivilrechtlichen auf einen alleinigen wirtschaftlichen Eigentümer voraus (Drüen aaO).“

Finanzgericht Köln vom 19.07.2019, 2 K 2672/17
In diesem Klageverfahren hat ein US-amerikanischer Pensionsfonds auf Erstattung von Kapitalertragsteuer geklagt. Die Darstellung dieses grenzüberschreitenden Falls in dem Urteil (https://www.justiz.nrw.de/nrwe/fgs/koeln/j2019/2_K_2672_17_Urteil_20190719.html) bereitet einen derartigen komplexen Zusammenhang auf. Inhaltlich geht es, den zeitlich vorhergehende Fällen entsprechend, um die Frage, ob die Klägerin wirtschaftlicher Eigentümer geworden ist. Besondere Aufmerksamkeit verdient der Fall, weil dieser auch auf eine Änderung des Rechtes im Jahr 2007 abstellt.

Die wesentlichen Inhalte lassen sich wie folgt zusammenfassen (https://www.wmrecht.de/wub-online/dokument/wm/2006556):
„1. Die Erstattung von Kapitalertragsteuer gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG setzt voraus, dass der Kläger der Gläubiger der Kapitalerträge ist und die Kapitalertragsteuer einbehalten und abgeführt wurde.
2. Gläubiger der Kapitalerträge ist der zivilrechtliche Eigentümer oder der wirtschaftliche Eigentümer der Wertpapiere.
3. Bei außerbörslichen Aktiengeschäften geht das wirtschaftliche Eigentum an den Aktien erst im Zeitpunkt der Belieferung auf den Aktienkäufer über. Die zum Inhaberkauf ergangene Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 15. Dezember 1999 – I R 29/97), wonach für über die Börse abgeschlossene Aktiengeschäfte der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums aufgrund der Börsenusancen bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des schuldrechtlichen Aktienkaufvertrages erfolgt, betrifft nur Verkäufe über die Börse durch einen privaten Bestandsverkäufer. Sie ist nicht auf außerbörsliche, sog. over-the-counter (OTC) Geschäfte übertragbar. Denn zwischen dem börslichen und dem außerbörslichen (OTC-)Handel bestehen derartige Unterschiede, dass eine Übertragung der Grundsätze zum börslichen Handel nicht gerechtfertigt ist. Die Börsenmechanismen, die dem börslichen Handel anhaften und die der BFH seinem Urteil vom 15. Dezember 1999 (I R 29/97, BStBl. II 2000, 527) zugrunde gelegt hat, gelten nicht gleichermaßen im außerbörslichen (OTC-)Handel. Weder aus dem BFH-Urteil vom 16. April 2014 (I R 2/12) noch aus der Gesetzesbegründung zum Jahressteuergesetz 2007 (BT-Drucks. 16/2712) ist etwas anderes abzuleiten.
4. Ungeachtet dessen hat der BFH in seinem Urteil vom 16. April 2014 (I R 2/12, BFH/NV 2014, 1813) jedenfalls herausgestellt, dass – unabhängig von der Frage, ob bei außerbörslichen Geschäften grundsätzlich bereits mit Vertragsschluss wirtschaftliches Eigentum erworben werden kann – das für die Zuweisung wirtschaftlichen Eigentums maßgebende „Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse im jeweiligen Einzelfall“ (z.B. BFH-Urteil vom 5.10.2011 – IX R 57/10, BStBl. II 2012, 318) dazu führt, dass jedenfalls ein modellhaft aufgelegtes Gesamtvertragskonzept dem Erwerb von wirtschaftlichem Eigentum vor dem Dividendenstichtag – mit Blick auf § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG oder zu einem späteren Zeitpunkt mit Blick auf § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 i.V. m. Satz 4 EStG – von vornherein entgegensteht. Ein solches den Erwerb von wirtschaftlichem Eigentum jedenfalls hinderndes Gesamtvertragskonzept liegt etwa vor, wenn die Wertpapiererwerbe im untrennbaren Zusammenhang mit Finanzierungs-, Wertpapierleih- und (Total-Return-) Swapgeschäften sowie einem kurzfristigen Rückverkauf stehen, denn dann ist eine nennenswerte Inanspruchnahme der mit dem Innehaben der Wertpapiere verbundenen Rechte durch den Erwerber ausgeschlossen und es liegt ein bloßer Durchgangsverkehr vor (vgl. BFH-Urteil vom 16. April 2014 – I R 2/12, BFH/NV 2014, 1813).
5. Auch bei börslichen Geschäften über den zentralen Kontrahenten (Central Counterparty, CCP) erfolgt ein Übergang des wirtschaftlichen Eigentums nicht bereits mit Abschluss der schuldrechtlichen Verträge. Da der Zentrale Kontrahent über keinen eigenen Aktienbestand verfügt, ist er im Zeitpunkt des Vertragsschlusses stets Leerverkäufer. Deshalb geht das wirtschaftliche Eigentum erst im Zeitpunkt der Lieferung der Aktien über.
6. Ist der Verkäufer im Zeitpunkt des Kaufabschlusses nicht selbst Inhaber der verkauften Wertpapiere (sog. Leerverkäufer), kann der (Leer-)Käufer mit Abschluss des schuldrechtlichen Aktienkaufvertrages nicht das wirtschaftliche Eigentum erwerben. Es ist nicht denkbar, dass der Leerkäufer den Aktieninhaber als zivilrechtlichen Eigentümer dauerhaft von einer Einwirkung auf die Aktien ausschließt, denn der Leerkäufer steht in keinerlei vertraglicher oder sonstiger Beziehung zum Anteilseigner und hat demzufolge auch keinerlei Möglichkeit, den Anteilseigner von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut auszuschließen. Der Leerverkäufer hat bei Kaufabschluss kein wirtschaftliches Eigentum an den Aktien, das auf den Käufer übergehen könnte. Dem steht das BFH-Urteil vom 15. Dezember 1999 (I R 29/97) nicht entgegen, da dieses einen Inhaberverkauf und nicht einen Leerverkauf betraf. Auch der Gesetzesbegründung zum JStG 2007 ist im Ergebnis nichts anderes zu entnehmen.
7. Paralleles mehrfaches wirtschaftliches Eigentum, also eine Vervielfältigung des wirtschaftlichen Eigentums an der gleichen Aktie, ist nicht möglich. Dies würde sowohl dem inneren System des Zivilrechts als auch dem des Steuerrechts, sowie dem Wortlaut des § 39 AO widersprechen. Weder das BFH-Urteil vom 16. April 2014 (I R 2/12) noch die Gesetzesbegründung zum Jahressteuergesetz 2007 stehen dem entgegen.
8. Ungeachtet dessen, dass nach Überzeugung des Senats Aktienerwerbe über den Zentralen Kontrahenten an der Börse Erwerbe vom Leerverkäufer darstellen, ist im Streitfall zudem nicht auszuschließen, dass der Kläger – blendet man den Zentralen Kontrahenten aus – in der „Erwerbskette“ und bei einer Durchgriffsbetrachtung auch ganz konkret von einem Leerverkäufer erworben hat. Dies hat zur Folge, dass das wirtschaftliche Eigentum auch insoweit nicht mit dem Abschluss des schuldrechtlichen Vertrages übergegangen ist.
9. Gemäß den allgemeinen Regeln zur objektiven Feststellungs- und Beweislast obliegt es dem Aktienkäufer bei Geschäften über den zentralen Kontrahenten zum Nachweis des Erwerbs wirtschaftlichen Eigentums als Voraussetzung der Kapitalertragsteuererstattung, den Aktienverkäufer zu benennen, der an den zentralen Kontrahenten geliefert hat. Bleibt ungeklärt, ob es sich um einen Inhaberverkäufer oder um einen Leerverkäufer handelt, ist die Erstattung zu versagen.
10. § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG fordert, dass die Kapitalertragsteuer einbehalten und abgeführt wurde. Es reicht nicht aus, dass „irgendeine“ Kapitalertragsteuer einbehalten und abgeführt wurde. Vielmehr muss sie für Rechnung des Gläubigers der Kapitalerträge einbehalten und abgeführt worden sein.
11. Dabei hat ein Aktienkäufer bei außerbörslichen (over-the-counter, OTC) Aktiengeschäften oder börslichen Aktiengeschäften über den zentralen Kontrahenten um den Dividendenstichtag, die cum Dividende abgeschlossen und ex Dividende beliefert werden, keinen Anspruch auf Anrechnung der vom Emittenten auf die originäre Dividende erhobenen Kapitalertragsteuer.
12. Auf Dividendenkompensationszahlungen im Leerverkauf wurde bis zum Jahre 2007 keine Kapitalertragsteuer einbehalten und abgeführt. Zum 1. Januar 2007 führte der Gesetzgeber mit dem Jahressteuergesetz 2007 eine Regelung in das Einkommensteuergesetz ein, die die Einbehaltung und Abführung von Kapitalertragsteuer bei Dividendenkompensationszahlungen im Leerverkauf sicherstellen sollte. Bei einer Beteiligung von Auslandsbanken deuten die Umstände regelmäßig darauf hin, dass ein solcher Steuerabzug nicht stattgefunden hat. Ein ausländisches Kreditinstitut oder Finanzdienstleistungsinstitut ist gerade nicht gemäß § 44 Abs. 1 Satz 3, 3. Alt. EStG verpflichtet, Kapitalertragsteuer auf die Kompensationszahlung einzubehalten und abzuführen. Dann ist genau der Fall gegeben, der auch nach der im Jahre 2007 in Kraft getretenen Regelung der Dividendenkompensationen nicht zur Einbehaltung und Abführung von Kapitalertragsteuer führte.
13. Die Ansicht, der Gesetzgeber habe durch die neuen Regelungen im Jahressteuergesetz 2007 eine mehrfache Anrechnung der Kapitalertragsteuer bewusst in Kauf genommen und habe die negativen Auswirkungen auf das Steueraufkommen durch die Gesetzesänderungen – wie sich aus der Gesetzesbegründung ergebe – nur verkleinern wollen, ist nicht haltbar.“

Das Urteil ist mit der Revision beim Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen I R 22/20 anhängig.

Hessische Finanzgericht vom 06.04.2021, 4 V 723/20
Das Gericht hatte erneut über die Rücknahme der Anrechnung von Kapitalertragsteuer (KapESt) bei Cum/ex-Geschäften zu entscheiden (Az. 4 V 723/20).
(https://finanzgerichtsbarkeit.hessen.de/pressemitteilungen/entscheidung-zur-r%c3%bcckforderung-von-kapitalertragsteuer-bei-cum-ex-gesch%c3%a4ften)
„Der 4. Senat des Hessischen Finanzgerichts hat sich in seinem Beschluss vom 6. April 2021 vor allem mit der Frage auseinandergesetzt, welcher Beweiswert einer unrichtigen Kapitalertragsteuerbescheinigung zukommt.
Er hat entschieden, dass die Bescheinigung über Kapitalertragsteuer keinen Vollbeweis für die Erhebung der Kapitalertragsteuer liefert. Sie sei lediglich ein unverzichtbares Nachweismittel, um eine praktikable und rechtssichere Durchführung von Kapitalertragsteuer-Anrechnung zu ermöglichen. Lägen Indizien vor, die eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür begründen, dass die erworbenen Aktien aus einem Leerverkauf stammten und von einer ausländischen Depotbank bezogen wurden, greife der Anscheinsbeweis der Steuerbescheinigung für die Erhebung der Kapitalertragsteuer nicht ein.
Weiterhin entschied der Senat, dass bei sog. Back-to-Back-Geschäften, bei denen sich der Broker als Aktienverkäufer nahezu zeitgleich selbst mit den Aktien eindecke, die von einer ausländischen Depotbank geliefert werden, kein Anscheinsbeweis zu Gunsten der Erhebung von Kapitalertragsteuer bei Auszahlung der Nettodividende an die Depotbank des Aktienkaufes bestehe.
Darüber hinaus könne von der Nichterhebung der Kapitalertragsteuer auch dann ausgegangen werden, wenn die Aktien über sog. Futures oder Calloptionen wieder an den ursprünglichen Aktienlieferanten zurückübertragen werden und eine Differenzbetrachtung der Einkaufs- und Rückkaufspreise zzgl. der Nettodividende einen Verlust ergebe, so dass das Geschäft nur durch die Aufteilung der nicht entrichteten Kapitalertragsteuer profitabel werde.
Des Weiteren macht der Senat Ausführungen dazu, wer das den Verkaufsauftrag ausführende Kreditinstitut ist, das zur Einbehaltung der Kapitalertragsteuer verpflichtet ist.“

Die Steuer-Straf-Verfahren

Das erste Urteil vom Landgericht Bonn, Urteil vom 18.03.2020 – 62 KLs – 213 Js 41/19 – 1/19, hat unter Anwendung von § 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO für beide Angeklagten Strafurteile zur Bewährung festgestellt. In der Sache ging es um die Frage, ob 477 Millionen € in den Jahren 2006-2007 durch die beiden vor Gericht stehen Männer wegen Profiten aus der unberechtigten Geltendmachung nicht einbehaltener Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlägen generiert und über den Abschluss von Kurssicherungsgeschäften unter den Akteuren verteilt wurden, hinterzogen worden sind. Diese überaus milden Urteile sind der Tatsache zu verdanken, dass die beiden Verurteilten sich als Kronzeugen zur Verfügung gestellt haben, um die gesamte Methodik der Abwicklung der Fälle aufzuklären. In den 44 Verhandlungstagen wurde nach Berichten von Beobachtern des Prozesses deutlich, welche Rolle die jeweilig amtierenden Finanzminister in den vielen Jahren gespielt hat. Aus diesem Prozess stammt das Zitat des „direkten Griffs in die Staatskasse“.

Die Revision der beiden Angeklagten gegen das Urteil, beschränkt auf die Einziehungsanordnung, wurde vom BGH mit Urteil vom 28. Juli 2021, 1 StR 519/20, verworfen. Die Leitsätze lauten wie folgt:

„Die Geltendmachung tatsächlich nicht einbehaltener Kapitalertragsteuer zur Steueranrechnung bzw. Steuererstattung gegenüber den Finanzbehörden auf der Grundlage von CumEx-Leerverkaufsgeschäften stellt eine unrichtige Angabe über steuerlich erhebliche Tatsachen im Sinne des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO dar; sie führt im Fall ihrer positiven Bescheidung zu ungerechtfertigten Steuervorteilen im Sinne des § 370 Abs. 4 Satz 2 AO.
§ 73e Abs. 1 Satz 2 StGB in der Fassung durch das Jahressteuergesetz 2020 vom 21. Dezember 2020 ermöglicht in Verbindung mit Art. 316j Nr. 1 EGStGB die Einziehung von Taterträgen trotz eingetretener Zahlungsverjährung aus steuerlichen Gründen.“

Inhaltlich argumentiert das Urteil mit den bereits vom hessischen Finanzgericht vom 6. April 2021 vorgegebenen Wertungen. Denn nach dem Wortlaut von § 36 Abs. 2 Nummer 2, Sätze 1 und 2 EStG ist die Erhebung der Kapitalertragsteuer Tatbestandsmerkmal des Anrechnungsanspruchs. Daher stellt die Steuerbescheinigung eine zusätzliche Anrechnungsvoraussetzung dar, die neben den Voraussetzungen, die in § 36 Abs. 2 Nummer 2 EStG genannt sind, tritt. Die gegenteilige Ansicht, eine Anrechnung von Kapitalertragsteuer sei unabhängig von ihrer Erhebung allein aufgrund der Steuerbescheinigung möglich, ist abwegig und mit Wortlaut, Gesetzessystematik sowie Sinn und Zweck der vorbenannten Normen nicht vereinbar.
Das zweite Strafurteil, wieder vom Landgericht Bonn, vom 01.06.2021 – 62 KLs – 213 Js 32/20 – 1/20, führte zu einer Verurteilung von fünfeinhalb Jahren Freiheitsstrafe. (www.justiz.nrw.de/nrwe/lgs/bonn/lg_bonn/j2021/62_KLs_213_Js_32_20_1_20_Urteil_20210601.html)
Unbedingt lesenswert sind die Ausführungen des Urteils, um in Bezug auf die Cum/Cum-Geschäfte und die Ausdehnung auf Fondstrukturen. Auch diese Vorgänge sind uneingeschränkt strafwürdig.

Mit diesen beiden Urteilen geben die Bonner Richter, dieses ist aus den umfangreichen Beschreibungen der Tatbestände und deren Würdigung zu erkennen, den Weg für alle weiteren Verfahren vor. Sie beschäftigen sich ausführlich mit dem Wissensstand aller Beteiligten dieses Verfahrens und erkennen darin den Vorsatz.
Den Spagat, die nicht im Jahressteuergesetz 2007 vorhandene Rechtslage aus der Begründung des Gesetztes zur Rechtslage zu machen, wird in Rz. 808 wie folgt geboten: „da der Gesetzesbegründung zum Jahressteuergesetz trotz partiell missverständlicher Formulierungen jedenfalls die im Ergebnis eindeutige Klarstellung entnommen werden kann, durch die Gesetzesänderungen solle gewährleistet werden, dass „so viel Quellensteuer erhoben [wird], wie bei den Anteilseignern später steuerlich berücksichtigt wird“ (BT-Drs. 16/2712, S. 47 f.). Es liegt auf der Hand, dass derjenige, der in Kenntnis dieser gesetzgeberischen Intention Geschäfte durchführt, von denen er weiß, dass sie auf eine Anrechnung tatsächlich in diesem Umfang nicht einbehaltener Steuern abzielen, jedenfalls mit der Möglichkeit rechnet, dass die begehrte Steueranrechnung mit der Steuerrechtslage nicht in Einklang steht.“

Hinsichtlich der Wertung zu dem BMF-Schreiben von 2009 wird eine Diskussion diesbezüglich, egal welche Erkenntnis bei dem Angeklagten vorliegt, abgetan mit „Es sind … keine Umstände eingetreten, die zu einer Änderung des Vorstellungsbildes des Angeklagten geführt haben. Vielmehr ist die Kammer davon überzeugt, dass sich dieses durch die Diskussionen im Zusammenhang mit dem Erlass des BMF-Schreibens im April 2009 – und damit vor Paraphierung der Steuererklärung – noch verfestigt hat. Soweit der Angeklagte in diesem Zusammenhang zu verstehen gegeben hat, er habe darauf vertraut, dass die Geschäfte auch vor dem Hintergrund des BMF-Schreibens zulässig seien, wertet die Kammer dies als reine Schutzbehauptung.“ (Rz. 861) „(1) Die Lektüre des BMF-Schreibens hat zur sicheren Überzeugung des Gerichts die beim Angeklagten bereits aufgrund seiner Kenntnisnahme der Begründung zum Jahressteuergesetz 2007 vorhandene Erkenntnis verstärkt, dass die von der HC Bank im Eigenhandel praktizierte CumEx-Leerkaufstrategie vom Gesetzgeber sowie von der Finanzverwaltung nicht erwünscht war. (Rz 862) Weiter: (Rz 865) „(3) Die Überzeugung des Gerichts, wonach der Angeklagte jedenfalls die Möglichkeit erkannte, dass der Anspruch auf die begehrte Steueranrechnung nicht begründet sei, wird ferner gestützt durch eine an ihn adressierte Email des gesondert Verfolgten Dr. PA vom 14.07.2009 mit dem Betreff „Spiegel 29/2009“. Der Email beigefügt war ein in der Zeitschrift „Der Spiegel“ erschienener Artikel, der mögliche Schäden des Fiskus infolge von CumEx-Transaktionen zum Gegenstand hatte. In dem Artikel wird ein Sprecher des BMF dahingehend zitiert, entsprechende Geschäfte begründeten einen „Missbrauch“ und man werde prüfen, „ob es sich um Steuerhinterziehung handle“. Zwar bezieht sich der Artikel im Ausgangspunkt allein auf Geschäfte, bei denen eine ausländische Depotbank eingeschaltet war, jedoch schließt die Kammer aus, dass der Angeklagte nicht erkannte, dass sich die dort zitierten Äußerungen des Sprechers des BMF auch auf solche Transaktionen erstrecken konnten, bei denen auf der Seite des Leerverkäufers eine deutsche Depotbank eingeschaltet wird, die keine Steuern einbehält. Denn die von dem Artikel betroffene Schädigung des Fiskus in Gestalt einer Steueranrechnung, der keine Steuereinbehalte in entsprechender Höhe gegenüberstehen, tritt in dieser Konstellation in gleicher Weise ein.

(Rz. 866) Aus der Lektüre des Artikels konnte der Angeklagte nicht nur eindeutig ersehen, dass die Geschäfte auf Seiten der Finanzverwaltung unerwünscht waren, vielmehr geht aus ihm auch hervor, dass das BMF-Schreiben lediglich als Nachweismittel für CumEx-Leerkaufgeschäfte gedacht war, nicht jedoch durch dieses zum Ausdruck gebracht werden sollte, solche Geschäfte seien unbedenklich, wenn ihnen keine unmittelbaren Absprachen zwischen Verkäufern und Käufern zugrunde lagen. Denn in dem Artikel ist festgehalten, der Bund vertraue nunmehr auf eine „neue Regelung“, wonach ab sofort bestätigt werden müsse, dass keine geheimen Absprachen zwischen Aktienverkäufer und -käufer vorliegen würden.

Die Tatsache, dass Betriebsprüfungen zwischendurch abgeschlossen worden waren, die keinen Aufgriff der Kapitalertragsteuererstattung vorgenommen hatten, wird nicht als wichtig erachtet. „Rz 979) Der in diesem Zeitpunkt gemeinsam mit dem Zeugen VD mit der Betriebsprüfung der HC Bank betraute Zeuge hat die Prüfungsvorgänge beim Finanzamt für Großunternehmen in Hamburg den Feststellungen entsprechend geschildert und insbesondere bekundet, die Entscheidung, dass nichts zu veranlassen sei, sei auf Grundlage der Einschätzung getroffen worden, dass die Depotbank der Leerverkäufer Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag tatsächlich in Abzug gebracht habe. Diese Angabe des Zeugen ist uneingeschränkt glaubhaft. Sie ist bereits aus sich heraus nachvollziehbar, da für den Fall, dass die Steuer tatsächlich einbehalten worden wäre, die Steuer rechtmäßig zugunsten der HC Bank bzw. der HC Gruppe angerechnet worden wäre und dementsprechend kein Anlass bestanden hätte, Steueränderungsbescheide zu erlassen. Dass die Entscheidung beim Finanzamt für Großunternehmen in Hamburg entscheidend von der Einschätzung mitgeprägt war, ob auf Seiten der Leerverkäufer ein Steuerabzug stattgefunden hat oder nicht (…),“
Der Prüfer hat also etwas eingeschätzt, nämlich die tatsächliche Durchführung des Steuereinbehaltes, deshalb war sein Verhalten dann wohl richtig, und die Prüfung dieser tatsächlichen Durchführung des Einbehaltes war dann auch entbehrlich. Das ist dann uneingeschränkt zu glauben?

Das Urteil soll und kann hier nicht besprochen werden. Deutlich ist jedenfalls, dass die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung vorgenommen wird, zum Teil eben mit Argumenten, die eine Gesetzeslage sich aus BMF-Schreiben oder deren Nachbesprechung aus der Zeitung herstellen. Betriebsprüfungen, die nicht die Konnexität zwischen Zahlung und Erstattung prüfen, werden nicht beachtet, denn der Prüfer hat ja glaubhaft geglaubt, dass diese Konnexität besteht.

Aus diesen Urteilen ist zumindest herauszulesen, dass die Verteidigungsstrategie, sich auf den Wortlaut des Gesetzes zu verlassen, oder darauf zu verlassen, dass eine bewusste Gesetzeslücke durch den Gesetzgeber das Verhalten zumindest legitimierte (wenn auch nicht moralisch), zu vergessen ist. Die Verteidigung kann lediglich an den subjektiven Aspekten und dem Maße des Zusammenwirkens anknüpfen.

Soweit die Überlegung sein sollte, bei der Beratung der Mandanten die Frage der Verjährung als taktisches Element mit einzubeziehen, so ist darauf hinzuweisen, dass die Verfolgungsverjährung der besonders schweren Steuerhinterziehung bereits im Jahre 2008 im Zusammenhang mit dem Ankauf von Datenträgern aus Liechtenstein und der Schweiz von fünf auf zehn Jahre angehoben worden ist. Mit dem Jahressteuergesetz 2020 wurde nun die strafrechtliche Verjährungsfrist der besonders schweren Steuerhinterziehung von fünf auf 15 Jahre erhöht. Diese Verlängerungen haben jeweils auch Rückwirkung, denn sie sind anzuwenden auf alle die Fälle, die bei der Gesetzesverkündung noch nicht verjährt waren. Mit dieser Regelung wurde ein Zeitraum der absoluten Verjährungsfrist von 37,5 Jahren geschaffen. Dieser Zeitrahmen sollte für die vielen zu erwartenden Fälle ausreichend sein.

Die laufenden steuerlichen Veranlagungsverfahren

Für die laufenden steuerlichen Verfahren kommt die Frage in Betracht, ob insoweit der begünstigende Verwaltungsakt, nämlich die Anrechnungsverfügung, zurückgenommen werden kann. Soweit die entsprechenden Steuerjahre bei dem Steuerpflichtigen noch nicht bestandskräftig sind, ist dieses im Rahmen einer Außenprüfung problemlos möglich.

Daneben gibt es die Überlegung, über § 130 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 AO die Anrechnungsverfügung zurückzunehmen. Die Handlungsalternativen der Nummer 3 setzt voraus, dass der begünstigende Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt wurde, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren; die Handlungsalternative der Nummer 4 setzt voraus, das dem Begünstigten die Rechtswidrigkeit bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt ist. Für beide Handlungsalternativen limitiert die Norm diese Rücknahmemöglichkeit auf ein Jahr seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme der Finanzbehörde von den Tatsachen, die die Rücknahme rechtfertigen. Obwohl die Norm nur als Kann-Vorschrift ausgestattet ist, ist zu beobachten, dass die Rücknahme der Regelfall ist.
Hinsichtlich der Frage, wie das Konkurrenzverhältnis zu einer Haftungsinanspruchnahme der Depotbank in Betracht kommt, kann auf das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 06.04.2021 – 4 V 723/20 verwiesen werden. Hier wurde um die Aussetzung einer Anrechnungsverfügung gestritten.
In diesem Urteil wurde für diesen Problembereich zunächst festgehalten (Rz. 294) dass die vorgenannten Normen keine ermessenslenkenden Vorgaben enthalten, so dass die Rücknahme der Anrechnungsverfügung keine abwägende Stellungnahme der Behörde enthalten muss.

Weiter wurde festgestellt (Rz 296), dass die Finanzbehörde bei der Inanspruchnahme der Antragstellerin (das den Kaufauftrag ausführende inländische Kreditinstitut) auch nicht ihr Auswahlermessen zwischen der Inanspruchnahme der Haftungsschuldnerin nach § 44 Abs. 5 EStG bzw. § 45a Abs. 7 EStG und der Antragstellerin als Steuerschuldnerin, die die Anrechnung der Kapitalertragsteuer zu Unrecht in Anspruch genommen hat, verletzt hat. Grundsätzlich liegt es im Rahmen des § 44 Abs. 5 S. 2 EStG im Ermessen des Finanzamts, ob es das den Verkaufsauftrag ausführende inländische Kreditinstitut als Haftungsschuldner statt des Gläubigers der Kapitalerträge als Steuerschuldner, die beide als Gesamtschuldner haften, in Anspruch nimmt. Ergänzend führt das Gericht aus (Rz 299), dass bei der Erhebung der Kapitalertragsteuer zwar grundsätzlich eine vorrangige Inanspruchnahme des entrichtungspflichtigen Haftungsschuldners geboten ist, die Finanzbehörde jedoch im Veranlagungsverfahren nicht mehr auf die vorrangige Inanspruchnahme eines möglichen Haftungsschuldners zur Entrichtung der Kapitalertragssteuer verwiesen werden kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn nicht abschließend geklärt ist, ob eine Haftungsinanspruchnahme nach § 44 Abs. 5 EStG überhaupt in Betracht kommt und insoweit noch weitere umfangreiche Ermittlungen notwendig wären oder wenn Absprachen vorliegen, die auf einen rechtswidrigen Abzug nicht einbehaltener Kapitalertragsteuer hindeuten.

Die weiteren Verfahren

Seit 2012 verklagt jeder den anderen. Da die zu dem Zeitpunkt abgeschlossenen Geschäfte noch nicht ausgelaufen waren, haben die Beteiligten verschiedene Verlustpositionen. Da ein Neugeschäft untereinander in diesen Größenordnungen nicht in Betracht kommt, werden die Verluste aus der vorherigen Zeit jetzt eingeklagt. Die verschiedenen Teilnehmer behaupten untereinander, sie seien nicht entsprechend aufgeklärt worden und deshalb habe der jeweils andere Teilnehmer den Schaden zu tragen. Die zivilrechtlichen Klageverfahren treten neben die Haftungsverfahren.

Der Leerverkäufer muss sich vergegenwärtigen, dass er als Täter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung nach den Haftungsnormen der Abgabenordnung §§ 71, 70 Abs. 1, 34, 35 AO in Anspruch genommen wird.
Der Leerverkäufer wird möglicherweise vom Käufer auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Banken leisten bereits Schadensersatz wegen mangelhafter Beratung; nach einem Berufungsverfahren seien in einem Einzelfall mehr als 45 Millionen Euro gezahlt worden. Ein Verfahren wegen mangelhafter Beratung muss der Mandant führen, damit in der strafrechtlichen Verteidigung geglaubt wird, genau dieser Mandant habe nicht erkannt, dass es um eine doppelte Steuererstattung ging.

Der Käufer kann von der Finanzverwaltung über § 44 Abs. 5 Satz 2 EStG (ab 2007) oder auch über die Haftungsnormen der §§ 71, 70 Abs. 1 AO in Anspruch genommen werden.

Die Depotbank des Leeverkäufers haftet gemäß § 44 Abs. 5 EStG, soweit diese nicht nachweist, dass sie die ihr auferlegten Pflichten weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt hat. In diesem Zusammenhang ist auf die Rechtsprechung des Landgerichts Frankfurt Main vom 23.09.2020, 2-18 O 286/18, aufmerksam zu machen. In der Rn. 134 des Urteils wird die grundsätzliche Eigenschaft als Haftungsschuldner der Beklagten festgestellt.
Die Depotbank des Käufers muss sich einer Haftung gemäß § 45a Abs.7 EStG gegenüberstellen.

Die Akteure

1.) Der Architekt, seine Kollegen und die Banker
Die handelnden Personen in dem gesamten CumEx-Bereich sind im Wesentlichen bekannt. Der Architekt dieser Konstruktion, seine Kanzleikollegen und auch die prominenten Namen seiner Anlegerkunden sind in der Presse bezeichnet. Auch die handelnden Banken sind im Wesentlichen benannt. Dieser Zwischenbericht wird nicht dadurch besser, dass Namen eingestreut werden.
Die Banker selbst sind wohl in der Gefahr der Verurteilung, wie das zweite Strafurteil aus Bonn zeigt.

2.) Die Strafverfolgungsbehörde
Die Aufarbeitung der Strafverfolgung wird im Wesentlichen von der Staatsanwaltschaft Köln geleistet. Deren Zahlen sind nicht exakt bekannt, man spricht von rund 61 Verfahrenskomplexen mit rund 1000 Beschuldigten. Die leitende Oberstaatsanwältin wird neben etwa 8 weiteren Staatsanwälten mit der Aufarbeitung dieser Fälle beobachtet. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main ermittelt gegen ca. 100 Beschuldigte, daneben soll es noch Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München und der Staatsanwaltschaft Stuttgart geben.
Der NRW-Justizminister hat längst Anklagen “wie am Fließband” angekündigt. Das Bonner Landgericht hat zusätzliche Stellen geschaffen, um rasch verhandeln und urteilen zu können. Der Gerichtspräsident soll sich hinsichtlich seiner Bedenken einer Verjährung geäußert haben. Hinsichtlich dieser Verjährung wird von einem gewerbsmäßigen Bandenbetrug im Sinne des § 263 Abs. 5 StGB ausgegangen ( vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 09.03.2021, 2 WS 132/20), so dass eine zumindest zehnjährige wenn nicht sogar längere Verjährung im Raum steht. (Die vorbenannte Entscheidung ist sicher lesenswert, weil die Konkurrenz zwischen der Norm des § 370 Abs. 3 Nr. 5 AO und dem § 263 Abs. 5 StGB wohl erstmals angegangen wird.)
Auch in Frankfurt läuft bereits ein großer Prozess um die kleine Privatbank M., die bei Cum-Ex mitgemacht hat und in die Insolvenz gegangen ist.

Angesichts der Zahlen der Beschuldigten existiert eine Diskussion über die Verhaltensstrategie in der Verteidigung. Dabei spielt nicht nur die Verjährung eine Rolle, sondern auch ob der eigene Mandant seinen eigenen Tatbeitrag so einschätzt, dass er trotz (oder gerade wegen) einer aktiven und aggressiven und hinhaltenden Verteidigung ohnehin lediglich eine Strafe zur Bewährung riskiert.

3.) BaFin
Deutlich sind die Überlegungen des Herrn Professor Spengler gegenüber der Rolle der BaFin; diese habe wegen des § 9 WpHG alle Informationen zu jedem Geschäft gehabt und habe nicht geprüft. Die gleiche Frage, warum bei diesen Volumina nicht geprüft worden sei, stelle sich bei den Abschlussprüfern der Banken. Diese Aufarbeitung hat noch nicht wirklich stattgefunden. Diskussionen zu der Leistungsfähigkeit dieser Behörde werden auch unter dem Stichwort WIRECARD geführt.

4.) Die vor dem Jahr 2012 bekannte finanzgerichtliche Rechtsprechung
Ausgangslage und Grundlage für die Cum-Ex-Geschäfte war ein Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH, Urt. v. 15.12.1999, Az. I R 29/97, BStBl 2000 II S. 527) zu gedeckten An- und Ver-/Rückkäufen börsengehandelter Aktien um den Dividendenstichtag. In diesem Verfahren zu § 20 Abs. 2a a.F. EStG hatte der BFH dem Käufer die Eigenschaft des Anteilseigners zuerkannt, weil dieser wirtschaftlicher Eigentümer im Sinne des § 39 AO gewesen war. Relevant für die Betrachtung ist, dass es zu dem Urteil einen Nichtanwendungserlass des BMF vom 06.10.2000 (BStBl 2000 I S. 1392) gibt. Der BFH hat in der Folge in weiteren Urteilen/Beschlüssen (I R 85/05 – veröffentlicht in BStBl 2013 II S. 287 – sowie I R 128,129/04 – nicht veröffentlicht –) seine Auffassung zu gedeckten An- und Verkäufen bestätigt. Darin wurde der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums von Aktien auf den Käufer schon mit dem Vertragsschluss bestätigt, auch wenn die Übertragung der Aktie in das Depot des Käufers noch nicht erfolgt war. Diese Regelung ermöglichte dem Erwerber, die Kapitalertragsteuer geltend zu machen, obwohl er die Aktie am Dividendenstichtag noch nicht besaß.

Die Beurteilung, wann und wie ein wirtschaftliches Eigentum (kein zivilrechtlicher Begriff) in der Finanzwelt vorliegt, wird nicht immer, auch nicht von der Richtern der Finanzgerichtsbarkeit, sauber erläutert. Es kam nämlich darauf an, ob das wirtschaftliche Eigentum schon bei Vertragsschluss des Leerverkäufers überging. Die später erfolgte finanzgerichtliche Rechtsprechung (siehe oben) hat sich von dieser ersten Überlegung, die u.a. die Grundlage der Steuergestaltung war, distanziert.

5.) Der Gesetzgeber

Der Bundesverband deutscher Banken hat am 20.12.2002 an das Bundesministerium der Finanzen einen vierseitigen Brief verschickt. Herr Professor Spenger berichtet auf Seite 120 seines Gutachtens: „Der Bankenverband schlägt in seinem Schreiben eine Gesetzesänderung vor, die dazu führt, dass der Leerverkäufer, falls er sich einer inländischen Depotbank bedient, auf die Dividendenkompensationszahlung Kapitalertragsteuer einbehalten und abführen muss. Damit sei sichergestellt, dass den von den Depotbanken der Leerkäufer für diese Dividendenkompensationszahlungen ausgestellten Steuerbescheinigungen beim Leerverkäufer ein Kapitalertragsteuerabzug vorausging. Dem ist nichts hinzuzufügen, denn im Ergebnis würde zweimal Kapitalertragsteuer einbehalten und abgeführt (beim Emittenten der Aktien und beim Leerverkäufer) sowie zwei Steuerbescheinigungen ausgestellt (für den zivilrechtlichen Aktieninhaber und für den Leerkäufer).“ Diese Information hat im Ministerium keine gesetzgeberische Tätigkeit ausgelöst.

Im Jahressteuergesetz 2007 wurde § 20 Abs. 1 Satz 4 EStG eingefügt. Dieser betraf allerding nicht die ausländischen Kreditinstitute. Es wurde damit ein Vorschlag aus dem vier Jahre alten Schreiben des Bankenverbandes abgeschrieben. In der Wirkung wurde das Geschäft nun auf ausländische Kreditinstitute umgeleitet eine faktische Eindämmung der Auszahlungen wurde nicht erreicht.

In seinem BMF-Schreiben (vgl. BMF-Schreiben vom 5.5.2009, IV C 1 – S 2252/09/10003, BStBl. I 2009, S. 631) bekundet das BMF, dass es die Gesetzeslücke bezüglich der ausländischen Institut kenne. Der Hinweis, dass es diese Lücke seit dem Jahre 2002, also 7 Jahre, untätig beobachte, ist nicht enthalten. Vielmehr hat die Finanzverwaltung mit diesem BMF-Schreiben zum Ausdruck gebracht, dass bei Cum/Ex-Geschäften mit Leerverkäufen unter bestimmten Voraussetzungen, insbesondere beim Fehlen von Absprachen, entgegen der insoweit eindeutigen Gesetzeslage bei Vorlage einer Steuerbescheinigung gemäß § 45a Abs. 3 EStG eine Anrechnung bzw. Erstattung der Kapitalertragsteuer möglich sei.

Das grundlegende Problem (des Gesetzgebers?) wurde erst durch das OGAW-IV-Umsetzungsgesetz (Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren) im Jahr 2011 beseitigt, indem mit Wirkung zum 01.01.2012 das Schuldnerprinzip durch das Zahlstellenprinzip ersetzt wurde. Seitdem sind die die Dividenden auszahlenden Depotbanken sowohl zum Einbehalt als auch zur Abführung der Kapitalertragsteuer verpflichtet (§ 44 Abs. 1 Satz 4 EStG). Auf die Vorschriften der §§ 36a und 50j EStG ist hinzuweisen.

Weiter hinzuweisen ist auf das Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz – AbzStEntModG) BStBl. 2021 I, S. 1259 f., welches am 8. Juni 2021 verkündet wurde und damit am 9. Juni 2021 in Kraft getreten ist. Speziell zu dem hier beschriebenem Problemkreis ist auf die Neufassung des § 45b EStG aufmerksam zu machen.
Eine Fundgrube von Informationen zu den einzelnen Akteuren und Fallgestaltungen ergibt sich aus dem Informationssystem der Bundesregierung z.B. die Beantwortung der Kleinen Anfrage zu Cum/Ex: Internationale Aspekte und juristische Aufarbeitung (https://dserver.bundestag.de/btd/19/070/1907006.pdf)

6.) Die Steuerberater und Anwälte

Die Folgen dieser Gestaltungen werden die Gerichte noch jahrelang beschäftigen, die Verfolgung der technisch weiter entfernten Fälle wie beispielsweise der Dividendenarbitrage werden noch Arbeit bringen. Die Regelungen über die strafrechtliche Verjährung verpflichten zur Rechtsverfolgung von sehr alten Fällen. Steuerberater und Anwälte müssen über die Meinung zu der unverzüglichen Information gemäß § 153 AO aufklären und vielleicht sogar noch strafbefreiende Selbstanzeigen fertigen.